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Gefangen

Gefangen

Titel: Gefangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Lim
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verfolgt. Wie er das nur aushält!
    In Pauls Augen liegt immer noch ein übermütiges Funkeln, als er mich fragt: „Also, was kann ich jetzt wirklich für dich tun? Wir haben noch etwas zu bereden. Man bekommt dich ja nie zu fassen. Verschwindest einfach aus der Probe heute Morgen, was natürlich einen Riesenwirbel verursacht hat. Außerdem konnte jeder sehen, dass du allen anderen Solisten und dem ganzen jämmerlichen Fußvolk haushoch überlegen bist. War das vielleicht deine Absicht?“
    Ich schüttle den Kopf, immer noch grinsend. „Nein, wirklich nicht. Obwohl Tiffany das natürlich anders sehen würde.“
    „Darauf kannst du wetten“, erwidert er. „Wie wär’s denn jetzt mit einem Kaffee?“
    „Ich hab nur schnell ein paar Fragen an Sie“, sage ich hastig. „Aber wir können uns gern nächste Woche mal treffen, um über meine Gesangskarriere zu sprechen.“
    Sein Gesichtsausdruck verändert sich, er schaut mich irritiert an. „Oh, Mist“, sagt er und schiebt ein paar verrutschte Notenblätter mit seiner langen, feingliedrigen Hand zu einem sauberen Stapel zusammen, ohne mich auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen.
    „Ich bin bei den Daleys untergebracht“, fange ich an.
    „Ach ja“, sagt er sofort und setzt sich mit dem Rücken zur Klaviatur, den Blick immer noch auf mich gerichtet. „Sehr traurig, diese Geschicht e – so unendlich traurig.“
    „Ja, ja, sicher“, wehre ich ab. „Ich würde nur gern wissen, ob Lauren Daley je mit Laurence Barry zusammengetroffen ist, bevor sie entführt wurde.“
    Paul starrt mich einen Augenblick an, dann runzelt er die Stirn. „Laurence Barry? Aber ja doch. Bevor du hier erschienen bist und uns alle in den Schatten gestellt hast, war Lauren der Star bei unseren gemeinsamen Schulkonzerten. Barry ist seit 1969 Musikdirektor an der Little Falls High, für jemanden in deinem Alter praktisch eine Ewigkeit. Soweit ich weiß, hat er Lauren persönlich für das Konzert gedrillt, das wir in dem Jahr, in dem sie verschwunden ist, aufgeführt haben. Gerard Masson hat in der Mittagspause mit ihr geprobt, aber die zusätzlichen Stunden vor und nach der Schule hat Barry übernommen, der immer ein großer Opernliebhaber war. Ich erinnere mich noch gu t – es war mein erstes Jahr in dem Job, und Gerard war ganz hingerissen von ihr. Hat gesagt, er würde einen Star aus ihr machen mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung stünden. Ich bin damals frisch von der Framlington School gekommen.“ Paul strahlt mich an, als müsste ich diesen Namen kennen, was natürlich nicht der Fall ist. Das muss die Elite-Schule sein, die Spencer erwähnt hat.
    „Und erinnern Sie sich vielleicht auch an Jennifer Appleton, eine Schülerin von Little Falls?“, frage ich nun betont beiläufig. „Kann es irgendeine Verbindung zwischen ihr und Lauren gegeben haben?“
    Pauls ausdrucksvoller Mund verzieht sich nach unten. „Hoffentlich erwischen sie diese Bestie“, murmelt er. „Natürlich erinnere ich mich an Jennifer Appleton. Sie war eines der beiden großen Ausnahmetalente, von denen ich dir erzählt habe. Lauren war das andere.“ Seine Augen verlieren sich irgendwo in der Ferne, während er leise rezitiert:
    Sous le dôme épais
Où le blanc jasmin
Ah! Descendons
Ensemble!
    Ich starre ihn verständnislos an und er richtet seinen Blick wieder auf mich.
    „Das ist aus einer französischen Oper“, sagt er sanft. „Unter dem Blätterdach / Wo der weiße Jasmin / Ah! Dorthin lasst uns gehen!“
    „Ähm, okay“, sage ich. Französisch war wohl nie meine Sprache, in keinem meiner früheren Leben.
    „Aus Lakmé , von Léo Delibes“, fügt Paul erklärend hinzu. „Jennifer und Lauren haben ein hinreißendes Duett gesungen. Und beide waren so kleine, zierliche Geschöpfe, die eine ganz dunkel, die andere ganz hell. Ähnlich wie du, Carme n – zarte Wesen mit einer unglaublichen Stimmgewalt. Das wollte ich dir neulich sagen. Es ist direkt unheimlich, dass ich gleich über drei solche Talente stolper e – alle von so verblüffend ähnliche r … Erscheinung und alle ausgerechnet hier im ‚Paradies‘. Ist doch irgendwie passend.“ Ein träumerischer, amüsierter Ausdruck tritt in seine hellen Augen.
    Dann schüttelt er seinen Tagtraum ab und fährt lächelnd fort: „Wo waren wir noch stehen geblieben? Ach ja, Laure n – sie war gerade erst sechzehn geworde n – hat den anspruchsvollen Part der Mallika gesungen und Jennifer die göttliche Lakmé. Wie eine Art musikalischer

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