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Gefangen

Gefangen

Titel: Gefangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Lim
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anzufassen. Oder auf ein Versprechen zu pochen. Er dreht sich sogar um und räumt seine Sachen weg, während er auf meine Antwort wartet. „Du hast eine göttliche Stimme, Carmen“, sagt er sanft. „Und du bist sehr jung. Leider ist Fiona Fellows aus irgendeinem Grund blind und taub für deine Fähigkeiten. Sie hat keine Ahnung, auf welchem Schatz sie sitzt. Vielleicht im wahrsten Sinn des Wortes, so wie sie über dich rede t …“
    Aus dem Ziepen in meiner Seite wird ein brennender Schmerz.
    „Ich glaube nicht, dass man dir alle deine Möglichkeiten aufgezeigt hat“, fährt er fort und lässt seine Tasche zuschnappen, bevor er sich mir wieder zuwendet. „Ich habe Beziehungen zu den besten Musikakademien im Land. Und nur darum geht es. Ich bin nicht wie Gerard Masson mit seinen dummen Schwärmereien und Privatstunden. Ich hab so was selbst schon erlebt, und es ist wirklich das Letzte, was ich dir antun würde. Mir liegt einzig und allein deine Zukunft am Herzen.“
    Mir wird schwindlig. Was soll ich tun? Mit ihm gehen oder Ryan suchen? Lauren oder Carmen? Das Pochen in meiner Seite wird stärker; es ist jetzt kein Muskelzucken mehr, sondern es fühlt sich an, als sei etwas gerissen. Da ich immer noch nichts sage, zieht Paul fragend eine Augenbraue hoch.
    Ich schüttle den Kopf, obwohl ich weiß, dass jedes normale Mädchen in meiner Situation dieses Angebot sofort angenommen hätte. Aber so ist das nun mal. Tut mir leid, Carmen, aber ich kämpfe für Lauren. Und für mich.
    „Ähm, danke, ich kann nicht“, sage ich. „Hab heute Abend was Wichtiges zu erledigen.“
    „Dann ein andermal?“, fragt Paul gutmütig. Er richtet sich auf, streckt sich geschmeidig. „Aber du scheinst ein kluges Mädchen zu sei n – sicher hast du dir schon alles über Laurence zusammengereimt.“
    „Worauf Sie sich verlassen können“, sage ich und winke ihm über die Schulter zu, so ein dummes Klein-Mädchen-Winken, das hoffentlich nicht fehl am Platz wirkt. Obwohl ich keine Sekunde lang ernst nehme, was er sagt.
    Es ist dunkel, als ich endlich von den Schließfächern komme und über den Parkplatz der Paradise High gehe, Carmens Kapuze über dem Kopf, um mein Gesicht vor dem Wind zu schütze n – und vor neugierigen Blicken. Ich sehe, wie Paul Stenborg die letzten Nachzügler unter seinen Schülern in den Bus nach Port Marie scheucht. Mir schenkt er keine weitere Beachtung, obwohl ich ganz in seiner Nähe unter einer Straßenlampe vorbeigehe, auf dem Weg zum Füßgängertor neben der Haupteinfahrt.
    Ich frage mich, wo Laurence Barry ist, und was er gerade macht. Heute Abend werden wir ja sehen, was du da unten versteckst, alter Mann.
    Ich ziehe mir Carmens Kapuze noch tiefer in die Stirn, schlage den Kragen ihrer Jeansjacke hoch und trete den Heimweg durch die Stadt an. Unterwegs spähe ich in die Fenster der Gasthäuser auf der Hauptstraße und werfe einen Blick auf den einzigen Videoverleih am Ort. Und denke dabei pausenlos an Ryan, freue mich sogar auf das seltsam geschmacksneutrale, aber perfekt angerichtete Essen von Mr s Daley, das in gespannter Stille eingenommen wird, weil er vielleicht am Tisch sitzt, nahe genug, dass ich ihn berühren kann. Falls ich es über mich bringe.
    Ich gehe langsam, atme den schwachen Salzgeruch in der Luft ein. Nicht mal das Gekläff der Hunde, die total durchdrehen, sobald ich an ihrem Vorgarten vorüberkomme, stört mich. Ich lächle höchstens darüber. Ich weiß nicht, wie viel Zeit mir in Paradise noch bleibt, und ausnahmsweise will ich nicht, dass sie endet. Auch wenn das hier keineswegs die übliche Lovestory ist. Niemand, der noch alle Tassen im Schrank hat, würde mit mir tauschen wollen. Aber was soll’ s – man muss die Dinge nehmen, wie sie kommen.
    Als Ryans Straße bereits in Sicht kommt, spüre ich einen leichten Druck im Nacken, einen kurzen Stich, und im nächsten Moment sacke ich zusammen.

Kapitel 22

    Als ich erwache, ist es dunkel. So dunkel, dass ich im ersten Augenblick überhaupt nichts erkennen kann. Ich liege auf der Seite, das Gesicht zur Wand. Um meinen Hals spüre ich etwas Schweres, einen ungewohnten Druck.
    Vielleicht bin ich auf dem Fußweg ohnmächtig geworden und kann nur meine Benommenheit nicht abschütteln? Ich halte mich an diesem Gedanken fest, bis mir eine Welle von Gestank in die Nase dringt, so entsetzlich, dass ich laut würge. Menschliche Exkremente, vergammeltes Essen, Rost, Bleiche, Moder, Blut. Das alles übereinandergeschichtet, eine Luft,

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