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Gefangen

Gefangen

Titel: Gefangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Lim
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teuren Designerhemd. Dann sehe ich die beiden Mädchen an, jedes ist an seiner Wandseite am Hals angekettet, genau wie ich.
    Trotz allem, was sie durchgemacht hat, sieht Jennifer ziemlich unversehrt aus. Ihr rundes Gesicht, ihr kräftiges Haar und ihre glatte Haut glänzen vor robuster Gesundheit. Aber Lauren ist ein Geistermädchen mit rissigen Lippen, eingesunkenen Augen, hohlen Wangen, einer papierbleichen Haut, die von Narben übersät ist. Ihr Haar, lang und verfilzt, ist tatsächlich mehr weiß als blond. An manchen Stellen ist es ausgefallen, sodass ich ihre blasse Kopfhaut sehen kann. Sie wird nie wieder schön sein, und sie ist so entsetzlich abgemagert, dass ihre Füße, ihr Kopf und ihre Hände viel zu groß für ihren Körper wirken.
    Lauren krümmt sich in dem grellen Licht, die Hände auf die Augen gepresst, der Mund ein schreckensstarrer Bogen, ein Bild der Angst. Sie haftet an ihr wie ein Geruch, sie ist wie ein Hexentier auf ihrer Schulter, das an ihrem Fleisch nagt.
    Ich habe bereits ein Echo dieser Angst durch Ryans Haut gespürt, habe gespürt, dass das Dunkel fast erträglicher war als das Licht. Die schlimmen Dinge passieren im Licht. Und Schlimmes steht uns auch jetzt bevor. Man muss kein Hellseher sein, um das zu erkennen. Der Schmerz in meiner Hand breitet sich in meinem Unterarm aus wie ein Buschfeuer. Ich spüre den Schweiß, der plötzlich auf Carmens Stirn steht und das wilde Hämmern ihres Herzens.
    Ich lege meinen Kopf auf der Pritsche zurück, als Paul zwischen uns herumgeht und uns neugierig betrachtet wie Ausstellungsstücke in einem Museum.
    Jennifer trägt wie Lauren und ich ein kurzärmliges Nachthemd, und mir fällt auf, dass ihre Brille fehlt. Ihre Nase ist mit Sommersprossen übersät, sie ist groß und kräftig, hat üppige Formen. So wie man sich eine Opernsängerin vorstellt. Paul lässt eine Hand über Jennifers lange, blasse Waden gleiten. Lauren stöhnt sofort auf und beginnt in ihrem Klappbett hin und her zu schaukeln.
    Als Jennifer heftig vor seiner Berührung zurückschreckt, reagiert Paul mit unglaublicher Brutalität und schlägt ihr eine blutige Wunde über dem Auge.
    „Das wird dich lehren“, sagt er leise, während er Jennifers Kette von seiner Faust abwickelt und zu Lauren hinübergeht, die sich krümmt und noch lauter stöhnt.
    „Lauren wollte nicht lernen“, wispert er und quetscht ihr kleines Gesicht mit einer Hand zusammen, bis sie widerstrebend ihre Zähne entblößt wie ein in die Enge getriebenes Tier. „Und siehst du, was ihr passiert ist?“
    Jennifer schreit wieder und schaut weg.
    Dicke Tränen tropfen aus Laurens Augen und über Pauls lange Finger. Ich betrachte ihren verwüsteten Mund, den irreparablen Schaden, den er ihr zugefügt hat. Ich habe Gesichter wie ihres schon früher gesehen, daran erinnere ich mich jetzt dunkel, in Kriegsgebieten oder bei Menschen, die von Krankheit und Alter gezeichnet waren. Aber nicht so. So noch nie.
    Die Wut steigt wieder in mir auf, so wild, dass Carmens Herz einen Schlag lang aussetzt, und da ist wieder dieses Zucken, wie von einem Muskel, nur stärker jetzt, als ob Carmen aufwacht, darum kämpft, gehört zu werden. Ich will nicht, dass sie das sieht und in Erinnerung behält. Niemand, der so jung, so unschuldig ist, sollte so etwas erdulden müssen.
    Ich ramme unter Qualen meine brennende linke Hand unter die rechte, und diese leichte Bewegung bringt meine Kette zum Rasseln. Paul reißt bei dem Geräusch den Kopf herum und lässt Laurens zerstörtes Gesicht los. Ich sehe seine Fingerabdrücke, die sich in einem grelleren Weiß von ihrem sowieso schon totenblassen Gesicht abheben.
    „Du“, sagt er über die Schulter zu der immer noch schluchzenden Jennifer, „du bist zu fett geworden. Zu fleischig für meinen Geschmack. Es war ein Schock, als du die Tür aufgemacht hast. Es hat mich gekränkt, wie sehr du dich verändert hast, obwohl ich mich doch schon für dich entschieden hatte. Die hier“, fährt er fort, und ich weiß, dass er mich meint, „ist so, wie du mal warst. Aber noch viel, viel besse r – ein seltenes Geschöpf, eine Perle von unschätzbarem Wert, ganz für mich allein.“
    Er kommt zu mir und hebt sanft mein Kinn hoch.
    „Sing, Carmen“, sagt er freundlich, als stünden wir zusammen im leeren Probensaal am Klavier. Der coole junge Lehrer, die altkluge Schülerin. „Sing und zeig ihnen, warum ich dich unbedingt haben musste, warum du so unvergleichlich bist.“
    Er streichelt mein

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