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Gefangen

Gefangen

Titel: Gefangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Lim
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Wer?“, frage ich und jetzt bin ich verwirrt. „Von wem redest du?“
    Dann fängt Lauren an zu lachen, und ihre Stimme klingt so gruselig, dass es Carmen eiskalt über den Rücken läuft. „Wir werden hier sterben“, krächzt sie und schaukelt auf ihrem Feldbett hin und her. „Wir werden sterben, und niemand wird uns finden, bis wir verrottet sind.“
    Das irre Gelächter geht in ein wortloses Heulen über, und wieder ertönt das Klopfen an der Treppe oben. Lauren verstummt sofort, macht sich so klein wie möglich. Die plötzliche Stille ist fast noch schwerer zu ertragen als ihr Geheul.
    Endlich dringt Laurens Stimme wieder aus dem Dunkel, dumpf und tonlos und geradezu unheimlich beherrscht.
    „Vergiss Ryan“, sagt sie, „der kommt nicht. Niemand kommt. Und soll ich dir sagen, warum? Weil das hier nicht Laurence Barrys Haus ist.“
    Ich kann nicht glauben, dass wir uns so getäuscht haben.
    „Das hier ist das Haus von Paul Stenborg. Sten-borg. Verstehst du? Stenborg wie Steinburg. Eine Festung. Wir werden hier nie wieder rauskommen.“

Kapitel 23

    Richtiger Traum, falscher Ort.
    Ihre Worte treffen mich mit solcher Wucht, dass ich mich vergesse und von der Wand wegdrehe. Pauls Haus? Wie ist das möglich?
    Sofort schrecken beide Mädchen vor mir zurück und ich verfluche mich.
    Jetzt können sie mich genauso deutlich sehen, wie ich sie die ganze Zeit gesehen habe. Einen Augenblick denke ich an den Leuchtenden, meinen Traumbruder. Wie sein Licht die Dunkelheit durchdrang, als wäre er eine kleine Sonne. Ob ich ihnen auch so erscheine, nachdem sie so lange in der Dunkelheit gefangen waren?
    „Ist ja gut“, sage ich unwirsch. „Keine Angst, es ist nichts.“
    „Wer bist du?“, würgt Jennifer hervor.
    Das ist eine gute Frage, genau die Frage, die ich mir selbst gern beantworten würde. Nur leider scheint das Wort, der Name meines wahren Ichs, aus meinem Geist herausgeschnitten zu sein. Immer wenn ich danach greife, ist es nicht da.
    Ich möchte sie so gern beruhigen, jedenfalls so weit es in dieser Situation überhaupt möglich ist, aber ich habe wieder mit meinem Misstrauen zu kämpfen. Ich schweige lange, wäge das Für und Wider a b – so heißt es doch? Nur in einer Lage wie dieser gibt es kein Wider. Ich habe nichts mehr zu verlieren. Ich könnte sterben in Carmens zerbrechlichem Körper, ohne je zu erfahren, wer ich bin, ohne jemals eine echte Verbindung zu einem Menschen einzugehen. Und das darf nicht sein. Ich will reden, will es mit jeder Faser meines Herzens, will mich jemandem anvertrauen, von mir erzähle n – von meinem wahren Ich, nicht von der Fassade, die ich der Welt zeige. Und plötzlich verschwinden meine Bedenken, und ich frage mich, warum ich so lange daran festgehalten habe. Warum ich sie nicht einreißen konnte, die Mauer in meinem Kopf.
    Und so erzähle ich ihnen fast alles von mir, alles, was ich mir in diesem Leben als Carmen zusammengereimt habe, und von den zahlreichen anderen Leben, in die ich geworfen wurde und an die ich mich nur dunkel erinnere. Ich spreche schnell, meine Worte purzeln übereinander vor lauter Eile, endlich herauszukommen, und ich frage mich, ob die beiden Mädchen überhaupt etwas verstehen.
    „Und ich kann anderen Menschen ins Herz sehen“, höre ich mich sagen. „Manche muss ich nicht mal anfassen, um zu erfahren, was an ihrer Seele nagt. Ich weiß es einfac h …“
    Ich könnte weinen vor Dankbarkeit, dass ich endlich meine Geschichte erzählen darf. Wenn ich darüber rede, kann ich mich vielleicht später daran erinnern.
    Meine Stimme scheint die beiden zu trösten, sodass sie für einen Moment den grauenvollen Ort vergessen, an dem wir uns gefunden haben. Ich werde mit Fragen überschüttet.
    „Dann bist also in ihr drin? In Carmen, meine ich?“, fragt Lauren ehrfürchtig.
    „Und sie kann dich hören?“, fügt Jennifer mit unsicherer Stimme hinzu, denn sie ist ein Mensch, der mit beiden Beinen auf dem Boden steht.
    „Ja, ist sie“, sage ich vorsichtig. „Und wahrscheinlich kann sie mich hören. Aber ich bin mir nicht sicher, ob sie wirklich weiß, was vorgeht. Hoffentlich nicht. Es ist mehr so, als würde sie schlafwandeln. Sie ist auch ein Sopran, wie ihr. Aber sie ist ziemlich klein, hat mehr Laurens Größe. Und sie hat dunkles Haar.“
    Ich muss ihnen das nicht erklären, weil sie Carmen jetzt selber sehen können, aber mein wahres Ich ist so himmelweit entfernt von meiner geborgten äußeren Hülle, dass ich den Unterschied

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