Gefangene deiner Dunkelheit
rieche den Wolf in dir, und wenn du ehrlich zu dir bist, kannst du ihn auch an mir wahrnehmen.«
Sie schüttelte den Kopf, aber das Lachen war ihr vergangen. »Das ist doch kompletter Unsinn. Ich weiß, dass Karpatianer ihre Gestalt verändern können, doch ich kann das nicht. Ich bin mein Leben lang ein Mensch gewesen. Meine Eltern sind keine Werwölfe – und ich glaube auch nicht, dass es so etwas überhaupt gibt.«
»Wieso zweifelst du an ihrer Existenz, nachdem du Jaguarmenschen und Vampire gesehen hast und weißt, dass es uns Karpatianer gibt? Warum fällt es dir da so schwer, an Werwölfe zu glauben?«
Ein feiner Schweißfilm bedeckte seine Stirn. Karpatianer schwitzten Blut, bemerkte MaryAnn, als Manolito sich mit dem Handrücken darüberfuhr.
»Wo sind sie denn dann? Und falls es sie wirklich gibt und ich einer von ihnen bin, warum hast du das dann nicht früher schon erkannt?« Das mit dem Blutschwitzen war wirklich eklig, und sie würde ganz bestimmt nicht Karpatianerin werden. Da wäre sie ja lieber noch ein Wolf!
»Weil ich seit Jahrhunderten keine mehr gesehen habe.«
MaryAnn stützte die Hände in die Hüften. »Okay, mal sehen, ob ich dich richtig verstanden habe. Du warst total verliebt in mich und bereit, mich in eine Karpatianerin zu verwandeln, als du dachtest, ich sei ein Mensch. Aber das hat sich jetzt geändert, weil ich dich vielleicht in etwas anderes verwandeln könnte?« Sie hob herausfordernd das Kinn. »Was du meinst, ist, dass es für mich vollkommen in Ordnung ist aufzugeben, wer und was ich bin, aber nicht für dich.«
Er runzelte die Stirn. »Ich bin schon als Karpatianer auf die Welt gekommen. Es ist das, was ich bin.«
Sie legte eine Hand an ihren Magen, als eine Welle der Übelkeit in ihr hochstieg. »Du scheinheiliges Chauvinistenschwein, Neandertaler und unverbesserlicher Idiot! Ich muss vollkommen verrückt gewesen sein, als ich dachte, ich könnte mit jemandem wie dir zusammenleben.«
Er tat ihre Meinung über ihn mit einer Handbewegung ab. »Wir sind Gefährten des Lebens. Natürlich werde ich alles tun, um die Verwandlung zu vervollständigen und dich voll und ganz auf meine Seite zu bringen, aber ich muss dieses Problem aus allen Blickwinkeln betrachten. Ich habe noch nie von einer Verbindung zwischen einem Werwolf und einem Karpatianer gehört. Das Blut des Werwolfs ist genauso mächtig wie das des Karpatianers.«
»Ich kann nicht meine Gestalt verändern.«
»Der Wolf lebt in dir, ist ein Teil von dir. Die Verwandlung geht nicht auf die gleiche Weise vor sich wie bei mir. Der Wolf ist dein Beschützer und wird erscheinen, wenn er gebraucht wird. Du hast gefühlt, wie nahe er dir ist. Deshalb hast du diese Erinnerungsblitze. Und das ist auch der Grund, warum wir beide das frühe Sonnenlicht ertragen können. Es hat nur meinen Augen, nicht meinem ganzen Körper geschadet. Und du verbrennst nicht in der Sonne, obwohl mein Blut in deinen Adern fließt. Die Verwandlung müsste schon begonnen haben.«
»Und du denkst, ich hätte das die ganze Zeit gewusst und dich irgendwie hinters Licht geführt? Falls ich wirklich einen Wolf in mir haben sollte, wäre dies der richtige Moment für ihn hervorzukommen. Dann könnte ich dir nämlich wenigstens an die Kehle gehen.« Wütend stieß sie mit den Fäusten gegen seine Brust, um ihn dazu zu bringen, sie vorbeizulassen. »Du solltest dich mal selbst reden hören! Glaubst du wirklich, ich wollte den Rest meines Lebens mit einem Mann verbringen, der keinerlei Rücksicht auf meine Gefühle nimmt?«
»Du weißt, dass das nicht stimmt.«
»Oh, nein, natürlich nicht! Deshalb wirfst du mir ja auch vor, ich ›infizierte‹ dich«, fauchte sie ihn an. »Als wäre ich so etwas wie eine ansteckende Krankheit. Ein Virus. Weißt du, was, Manolito De La Cruz? Du verdienst es, in der Hölle zu verrecken. Und ich bin ein Idiot, weil ich gedacht habe, eine Beziehung mit dir könnte irgendetwas Sinnvolleres als nur heißer Sex sein!«
MaryAnn ging zum Rand der Plattform, umfasste das Geländer und blickte hinunter. Sie war vorher schon einmal gesprungen, doch jetzt kam es ihr sehr weit bis zum Boden vor. Das Ding in ihr, der Wolf, wie Manolito glaubte, regte sich, weil es ihre Wut erkannte. Sie schluckte die jähe Furcht hinunter, die in ihr aufstieg, und wandte sich ihm wieder zu. Ihr Herz klopfte so schnell und dumpf, dass er es hören musste, und der Kopf tat ihr weh von einem summenden Geräusch, als schwirrten Tausende von Insekten
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