Gefangene deiner Dunkelheit
hinter ihrer Stirn und machten sie verrückt. Ihr Schädel fühlte sich zu eng an, und ihr Gehirn begann zu pochen, während das Blut wie wild durch ihre Adern rauschte.
»Du weißt es.« Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. »Dir war voll und ganz bewusst, dass ich dein Blut nahm. Und du wolltest meines, wolltest den Geschmack von mir in deinem Mund spüren, heiß und süß und voller Leben. So verhält ein Mensch sich nicht.«
»Du hast mich dazu gebracht, das zu wollen«, flüsterte MaryAnn und drückte wieder ihre Hand an ihren aufgewühlten Magen. Sie hätte eine Art Balance zwischen Wut und Furcht finden müssen, fühlte sich aber nur völlig desorientiert und innerlich zerrissen.
»Das ist nicht wahr. Ich habe dich zu nichts gezwungen. Das war der Ruf des Wolfes in dir.«
MaryAnn wandte sich mit wild pochendem Herzen von ihm ab. Plötzlich ergab alles einen Sinn, obwohl es nicht so sein dürfte. Sie konnte nicht akzeptieren, was er sagte. Sie wollte keinen Wolf in sich tragen. Sie wusste nicht einmal, was das bedeutete oder wie es möglich war. »Bring mich zurück.« MaryAnn sah ihn nicht an, weil sie ihm nicht in die Augen sehen konnte. Sie fühlte sich auf einmal sehr allein. »Ich will jetzt sofort wieder zurückgehen.« Sich allein zu fühlen, brachte sie erneut in Wut. Als Manolito seinen schlimmsten Moment hatte durchstehen müssen, hatte sie ihm beigestanden, aber er ließ sie nun im Stich. Ließ sie im Stich und zeigte ihr die kalte Schulter.
»Du hast dein Bewusstsein vollkommen vor mir verschlossen.«
»Du Idiot!« Am liebsten wäre sie über die kleine Terrasse gesprungen und hätte ihn geschlagen. War er wirklich so begriffsstutzig? Sie holte tief Luft und zwang sich, sich im Zaum zu halten. »Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe? Ich will, dass du mich zurückbringst.« Denn jetzt würde sie nach Hause fahren. So schnell sie konnte, würde sie nach Seattle zurückkehren, wo das Leben normal war und sie kein solch unbändiges Verlangen nach idiotischen Männern aus längst vergangenen Jahrhunderten empfand.
»MaryAnn, keiner von uns beiden hat eine Wahl. Wir müssen zusammen eine Lösung finden.«
Ihr Kinn fuhr hoch, ihre dunklen Augen funkelten ihn an. »Ich habe eine Wahl. Ich lasse mir mein Leben nicht einfach so aus den Händen nehmen. Du hast mich zurückgewiesen, als du dachtest, ich verwandelte dich aus einem großartigen Karpatianer in etwas anderes. Was mich angeht, so hast du dir jedes Recht auf mich als deine Gefährtin verspielt. Ich habe dich gebeten, mich nach Hause zu bringen. Und das sehr höflich, Manolito.« Aber jetzt war ihr gar nicht mehr nach Höflichkeit zumute. Ihre Fingernägel bohrten sich in ihre Handflächen. Das Summen in ihrem Kopf wurde lauter. Ihr Mund fühlte sich an, als wäre er mit Kupfer überzogen.
»Ich habe dich nicht zurückgewiesen.«
»Hast du nicht? Nun, was mich anbelangt, bist du ein Feigling, Manolito. Du willst, dass ich alles riskiere. Du willst, dass ich etwas für mich Unbekanntes und Beängstigendes werde, und ich muss das akzeptieren, weil das Schicksal irgendwie bestimmt hat, dass wir zusammen sein müssen. Aber weißt du, was ? Ich denke gar nicht daran, mit jemandem zusammen zu sein, der will, dass ich alles riskiere, selbst jedoch gar nichts riskieren mag. Bring mich jetzt sofort nach Hause.«
Es war ein Befehl, ein geistiger Zwang, und zum ersten Mal erkannte sie, dass sie es nicht nur gedacht oder gesagt hatte. Sie hatte ihm den Befehl regelrecht suggeriert, weil seine Doppelmoral sie furchtbar wütend machte. Außerdem war sie wütend auf sich selbst, weil sie zugelassen hatte, dass er sie so beherrschte. Und sie fühlte sich ängstlicher als je zuvor in ihrem Leben, denn sie argwöhnte, dass es kein Zurück mehr gab und dass das, was auch immer in ihr war, keine Ruhe mehr geben würde, selbst wenn sie es bis nach Hause schaffte.
Sie besaß übersinnliche Fähigkeiten, genau wie alle sagten. Und sie hatte diese Fähigkeiten die ganze Zeit benutzt, ohne sich dessen bewusst zu sein. MaryAnn erhob den Blick zu Manolito, und ihr stockte der Atem. Mit einem gefährlichen Glitzern in seinen schwarzen Augen blickte er auf sie herab. Er war genauso wütend wie sie selbst und sehr viel Furcht erregender.
»Ich habe Nein gesagt. Du wirst nirgendwohin gehen.«
Sie stürzte sich auf ihn, holte mit ihren langen Fingernägeln nach seinem Gesicht aus und verfehlte es nur um Millimeter, als er sie an den Armen packte und sie
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