Gefangene der Dämmerung: Ravenwood 2 - Roman (German Edition)
sie ihn aufstöberte. Dazu würde der Ratgeberkolumne der Glamour wohl auch nichts einfallen …, dachte sie.
Sie kramte weiter im Koffer und zog einen abgelaufenen Reisepass heraus: ihr Dad, aufgenommen in den Neunzigern, mit einem oberpeinlichen Haarschnitt – vorn kurz, hinten lang. Der Pass war mit Stempeln aus Rumänien übersät. Waren sie dorthin gefahren, um Mums Verwandtschaft zu besuchen? Wieso war April nie dort gewesen? Sie stieß auf einen Umschlag mit mehreren Geburtsurkunden – ihre eigene, die ihrer Mutter. Eine auf den Namen Hamilton und eine zweite, die auf Silvia Vladescu ausgestellt war. April kannte den Namen, weil er auf der Familiengrabstätte stand, in der ihr Vater begraben lag. Aber weshalb tauchte der Name auf Silvias Geburtsurkunde auf? Hatte Grandpa nicht erzählt, er hätte ihn bei ihrer Immigration in den Sechzigern geändert? Plötzlich fiel der Groschen. Sie blätterte im Tagebuch ihres Vaters bis zu einem Tag kurz vor seinem Tod. Diesen Namen hatte sie doch irgendwo schon einmal gesehen. Da stand es »Vladescu – Rum.?« und eine Telefonnummer daneben. Eine, die sie kannte. Die Nummer ihres Großvaters.
April runzelte die Stirn. War irgendetwas mit ihrer Familie, wovon sie nichts wissen durfte? Was für eine schwachsinnige Frage. Natürlich gab es etwas. Wann immer sie Silvia und ihren Großvater nach ihrer Familie fragte, hatte sie nur ausweichende Antworten bekommen. Tja, höchste Zeit, dass sie der Sache auf den Grund ging.
Sie blätterte durch weitere Rechnungen und Belege für einen Rasenmäher, einen Flug nach Edinburgh, bis sie auf einen Prospekt von Ravenwood mit mehreren Infoblättern über Lernschwerpunkte, Fächerkombinationen, Prüfungsstatistiken, Sicherheitsstandards (was für eine Ironie!), die Strategien gegen Mobbing an der Schule (Ironie in Reinkultur. April fragte sich, ob die Strategie auch Maßnahmen gegen die Rekrutierung für eine Vampirsekte vorsah.) und endlos viele Fotos von strahlenden Schülern beim Hantieren mit Versuchsröhrchen und Bodenproben stieß. Alles absolut uninteressant. Auf die Rückseite hatte ihr Dad ein paar Anmerkungen gekritzelt – eine handschriftliche Kalkulation der Schulgebühren, bei deren Anblick April die Kinnlade herunterfiel, und einige Details über die Geschichte der Schule. Gerade als sie die Broschüre weglegen wollte, fiel ihr die Notiz auf der Innenseite ins Auge.
Sie las sie ein zweites Mal. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Es lag auf der Hand, weshalb die Polizei die Broschüre nie aufgeschlagen hatte. Weshalb auch? Schließlich war es völlig normal, dass ein Vater so etwas bei seinen Unterlagen aufbewahrte. Auf der Innenseite befand sich eine schematische Darstellung der Hierarchie des Schulbeirats, die ihr Vater mit blauem Stift eingekreist hatte. »Für Neuaufnahmen zuständ. Direktor = Schlüssel. Dringend mit Peter N. reden.« Ravenwood hatte also doch im Mittelpunkt seiner Recherchen gestanden. Gabriel hatte recht. Sie griff nach ihrer Tasche, zog ihren Geldbeutel heraus und ließ den gesamten Inhalt herausfallen.
»Los, los«, murmelte sie. »Sie muss doch irgendwo sein.«
Und da war sie. Die Visitenkarte, die Peter Noble ihr gegeben hatte. Der alte Freund ihres Vaters, der ihm einen Job bei der Sunday Times angeboten hatte.
»Treffer«, sagte sie und wählte die Nummer.
Dreißigstes Kapitel
D ie Redaktionsräume sahen genauso aus, wie April sie sich vorgestellt hatte. Besser gesagt, wie sie sie aus Filmen und Fernsehreportagen kannte: ein weitläufiges Großraumbüro, das die gesamte Etage eines mehrstöckigen Gebäudes einnahm und aus zahllosen, durch Trennwände abgeteilten Kabuffs mit Schreibtischen, Computern und ununterbrochen läutenden Telefonen bestand. Ständig liefen Redakteure mit Papieren durch die Gänge oder riefen einander Dinge wie »Ich habe gerade eine ganz heiße Meldung hereinbekommen« oder »Ich brauche dringend eine Untertitelung, und zwar schnell« quer durch den Raum zu.
Caro wäre im siebten Himmel gewesen. April hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie sie nicht gefragt hatte, ob sie mitkommen wolle. Andererseits herrschte ohnehin Funkstille zwischen ihnen. Außerdem hatte sie sich schon wieder aus dem Haus geschlichen, obwohl sie Silvia versprochen hatte, sie stets wissen zu lassen, wohin sie ging. Aber dieses Treffen mit Peter war zu wichtig – zumindest für April. Silvia hatte das Thema William Dunne offenbar längst ad acta gelegt, ganz zu schweigen von der Frage,
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