Gefangene der Dämmerung: Ravenwood 2 - Roman (German Edition)
Zeit sehen wir nur, was unser Gehirn uns erlaubt.« Allerdings, Daddy, dachte April niedergeschlagen.
Sie wandte sich wieder dem Koffer zu. In einem braunen Umschlag fand sie Notizzettel, die an der Wand neben seinem Schreibtisch geklebt hatten. Sie sah sie durch, doch auf den ersten Blick erschien keiner davon einen Sinn zu ergeben. »FG anrufen und bitten, dass er Ott.-Text heraussucht«, las sie. Könnte FG für Mr Gill stehen? Ja, bestimmt. Hatte er nicht erst kürzlich gesagt, sein Vorname sei Francis? Trotzdem war es nicht gerade der große Durchbruch. Natürlich wusste sie längst, dass er kurz vor seinem Tod vorgehabt hatte, die Buchhandlung aufzusuchen, trotzdem war es beruhigend zu wissen, dass sie immerhin auf der richtigen Spur zu sein schien. Ihr Blick blieb an der zweiten Notiz hängen, die ihr in der Nacht aufgefallen war, als sie sich in sein Arbeitszimmer geschlichen hatte. »23. 11. 88 – 14. 2. 93 – wicht.?« Das zweite Datum war ihr ins Auge gestochen, weil es ihr Geburtstag war, aber was hatte das erste zu bedeuten. Fünf Jahre zuvor? Irgendetwas musste an diesem Tag passiert sein. Hatte er ihre Mutter kennengelernt? Blödsinn. Weshalb sollte er sich diesen Tag aufschreiben? Sie schüttelte ratlos den Kopf. Doch dann kam ihr ein Gedanke. Sie trat vor ihren Kleiderschrank und kramte einen Schuhkarton hervor, in dem das Tagebuch und das Notizbuch ihres Vaters lagen, die sie in dem Versteck unter der Kellertreppe gefunden hatte. Sie blätterte zum 14. Februar, doch außer »Geburtstag April!!!«, einer Nummer und dem Wort »Pelargonie« fand sich kein Eintrag an diesem Tag. Sie fuhr ihren Computer hoch, rief Google auf und tippte die Nummer ein.
»Los, mach schon«, drängte sie ungeduldig.
Niedergeschlagen blickte sie auf das Suchergebnis. Die Telefonnummer gehörte zur Zweigstelle einer Blumenhandlung, und Pelargonien waren eine Blumenart. Natürlich – der 14. Februar war nicht nur ihr Geburtstag, sondern auch der Valentinstag. Wieso konnte sie nicht an einem ganz normalen Tag Geburtstag haben? Jedes Jahr wünschte sie sich aufs Neue, in der Schule würden sie alle mit Glückwünschen überhäufen, stattdessen waren ihre Freundinnen damit beschäftigt zu vergleichen, wie viele Valentinskarten sie bekommen hatten, und zu rätseln, wer wem was geschrieben haben könnte.
April tippte das zweite Datum ein. 23. November, doch auch diese Suche verlief erfolglos. Vielleicht hat es auch gar nichts zu bedeuten , dachte sie resigniert und wandte sich wieder den Zetteln zu – »bei Ux graben«, »2. Regel nicht vergessen«, »Golders Green?«, doch so aus dem Zusammenhang gerissen, waren die Zettel absolut nutzlos. Vielleicht hatte auch keiner von ihnen irgendetwas zu sagen.
Sie griff noch einmal nach dem Tagebuch und schlug das Datum auf. »Verlegergespräch 10 Uhr« – mehr stand nicht da. Doch so weit war es nie gekommen. Den 23. November, den Jahrestag dieses Datums, hatte ihr Dad nicht mehr erlebt. Eine neuerliche Woge der Trauer und des Schmerzes überkam sie. Es war alles so unfair. Mord. So etwas passierte doch nur mit anderen Leuten. Und Vampire? Schon gar nicht. Vampire existierten ja noch nicht einmal.
Aber sie taten es – und sie waren hier, in Highgate. Gabriel war hier. Wo mochte er gerade stecken? In irgendeinem feuchten dunklen Versteck im Wald? Nein, er hatte doch immer gesagt, wie gut Vampire darin seien, unbemerkt zu bleiben. Wenn sie Blut trinken konnten, ohne dass der Rest der Welt etwas davon mitbekam, schafften sie es ja wohl auch, unbemerkt in einem Hotel einzuchecken. Sie griff nach ihrem Handy und tippte eine SMS – doch dann hielt sie inne und löschte sie wieder. Die Polizei hatte nach seiner Verhaftung garantiert sein Handy konfisziert, und selbst wenn er es bei sich hätte, würde er unter Garantie nicht antworten – in einer Krimireportage hatte sie mal gesehen, wie Handys geortet werden konnten, allein nur weil sie eingeschaltet waren. Außerdem musste sie sich vor DCI Johnston und seinen Kollegen in Acht nehmen. Frustriert warf sie das Handy aufs Bett. Wieso hatte sie sich nicht in einen ganz normalen, fußballvernarrten Jungen verlieben können? Einen, mit dem sie ins Kino gehen und Popcorn essen konnte. Oder sich etwas vom Chinesen kommen lassen. Aber nein, sie hatte sich ja unbedingt einen untoten Freund suchen müssen, der obendrein auf der Flucht war und von der Polizei gesucht wurde, die ihm höchstwahrscheinlich eine Kugel in den Kopf jagen würde, wenn
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