Gefangene der Dunkelheit
antwortete Tristan. »Sean Lebuin ist real.«
»Oh, Kivar ist auch überaus real«, widersprach Orlando verbittert. »Ihr solltet dafür beten, dass Ihr nicht allzu bald erfahrt, wie real er ist.«
»Ich bete nicht«, erwiderte Tristan, »noch habe ich das jemals getan.« Er begegnete Simons Blick aus dunklen Augen. »Ihr sprecht von heiligen Reliquien und von Erlösung. Ich habe selbst als Mensch keine Hoffnung in derlei Dinge gesetzt. Ihr sprecht über diesen Dämon, den wir in uns tragen, als wäre er ein Fluch, aber das gilt nicht für mich. Er ist ein Segen. Ich töte nicht gerne, aber ich habe es auch nie gefürchtet und niemals gezögert zu töten, um erreichen zu können, was ich wollte – oder zum Ruhm meines Königs. Diese Macht, von der Ihr Euch befreien wollt, ist alles, was ich mir wünschen kann, alles, was ich brauche, um mir Gerechtigkeit zu verschaffen.«
»Gerechtigkeit?«, sagte Simon mit einem schiefen Lächeln.
»Ja, mein Herr, Gerechtigkeit«, bestätigte Tristan. »Ihr sucht nach diesem Kelch, damit Ihr der Verdammnis für Eure Sünden entgehen könnt. Glaubt mir, wenn ich Euch sage, dass ich bereits verdammt bin.«
»Und was ist, wenn Ihr Euer Ziel erreicht?«, fragte Simon. »Wenn Ihr Eure Rache habt – Eure Gerechtigkeit, wie Ihr es nennt – was dann? Wollt Ihr Euer Kind in die Dunkelheit führen? Wollt Ihr als Dämon den Schlossherrn spielen?«
»Tut Ihr das nicht?«, konterte Tristan. »Euer Gnaden?«
»Nein, Sir, das tue ich nicht.« Schmerz umwölkte Simons Augen. »Ich weiß, welches Übel Kivar für mich und die Menschen, die ich liebe, bereithält – möget Ihr solches niemals erfahren. Ich werde nicht ruhen, bis ich weiß, dass er vernichtet ist.« Er begegnete Tristans Blick. »Und das solltet Ihr auch nicht.«
»Ich werde mich Euch nicht anschließen«, antwortete Tristan, wollte sich nicht dazu bewegen lassen. Er konnte es sich nicht leisten, abgelenkt zu werden. »Wenn mein Schloss sicher und meine Tochter geschützt ist und Ihr mich dann immer noch mit einbeziehen wollt, werde ich es mir überlegen. Aber im Moment müsst Ihr mir verzeihen.«
»Wahnsinn«, wütete Orlando. »Dumm, überheblich …«
»Das reicht«, unterbrach Simon ihn und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Ich verzeihe Euch, Tristan, und ich werde Euch nicht mehr behelligen, es sei denn, Ihr wollt es.« Er streckte eine Hand aus, und Tristan schlug ein und hielt es für das seltsamste Angebot eines Bündnisses, von dem er jemals in seinem Leben gehört hatte. »Ich hoffe nur, Ihr müsst nicht irgendwann feststellen, dass Ihr Euch selbst nicht vergeben könnt.«
»Das werde ich riskieren«, antwortete Tristan. Er blickte zu dem kleinen Zauberer hinab, der noch immer, wenn auch lautlos, wütete. »Aber ich danke Euch für Eure guten Wünsche.« Er nickte seinem seltsamen Blutsbruder noch einmal zu, verließ dann die Höhle im Hang und pfiff nach seinem Pferd.
Simon sah ihm nach, als er davonritt, und schüttelte den Kopf. »Das ist nicht fair«, murrte er. »Ich habe zehn Jahre gebraucht, um ein Pferd zu finden, das mich tragen wollte, aber er … Warum fürchtet sein Pferd ihn nicht?«
»Weil es weiß, dass er ein Dummkopf ist«, murmelte Orlando. »Was jetzt, Krieger? Ihr könnt ihn nicht töten.«
»Nein«, stimmte Simon zu. »Aber wir können ihm folgen.« Er blickte mit bitterem Lächeln zu seinem Freund hinab. »Kivar wird auch mitkommen.«
Sean löste während der nächsten Tage sein Versprechen ein und brachte sie alle in den Turm. Als Siobhan eines Nachmittags ungefähr eine Stunde vor Sonnenuntergang auf der Suche nach ihrem Bruder in das untere Gemach kam, fand sie rege Aktivität vor, da dieser Raum als die neue Haupthalle des Schlosses dienen sollte. Mehrere aufgebockte Tische aus dem Gutshaus waren bereits hereingetragen und an den Wänden aufgestellt worden, und ein großer Wandteppich, den Sean bei einem ihrer Waldraubzüge erbeutet hatte, wurde gerade an der Rückwand hinter einem neu errichteten Podest aufgehängt. »Recht annehmbar«, sagte sichtlich erfreut ein vorübergehender Dienstbote, der einst Tristan DuMaine gedient hatte. »Meint Ihr nicht, Mylady?«
Sie zwang sich zu einem Lächeln, als sie in seine Richtung blickte. »Sehr hübsch.« In Wahrheit fühlte sie sich elend, und das angstvolle Schaudern, das sie jedes Mal befiel, wenn sie die Schwelle dieses Turmes überschritt, wühlte sie innerlich auf. Sean konnte bezüglich DuMaines Sünde sagen, was er wollte
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