Gefangene der Dunkelheit
Ihr selbst«, sagte Simon. »Ihr wurdet im Moment des Todes zu etwas anderem verwandelt, wurdet von einem Sterblichen zu einem Vampir. Ich denke, Kivar war einst dasselbe – er hat mich genauso erschaffen, wie ich Euch erschaffen habe, nur dass er vorsätzlich handelte. Aber nun fällt er über Leichname her, Menschen, die bereits tot sind. Er nimmt ihre Körper in Besitz und stiehlt ihren Geist.« Seine Miene wurde noch düsterer, als quälte ihn eine schreckliche Erinnerung. »Er kann ihre Erinnerungen sehen. Er weiß, was sie wollten, was sie dachten. Aber der Geist, der den Körper kontrolliert, ist Kivar.«
Tristan bekam bei dem Gedanken an derlei Dinge eine Gänsehaut, aber er wollte es sich nicht anmerken lassen. »Also ist Lucan Kivar böse«, sagte er fast tonlos. »Aber Ihr seid es nicht.«
»Ich bin es auch«, antwortete Simon, »aber nicht aus freien Stücken.«
»Simon ist der Aufgabe verschworen, Kivar zu vernichten«, erklärte Orlando. »Nun müsst Ihr ihm helfen.«
»Ich muss?«, fragte Tristan mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Orlando hat Kivar viele Jahre lang studiert«, sagte Simon. »Er glaubt, dass er mit einer heiligen Reliquie aus der Zeit seiner Erschaffung vernichtet werden kann, mit einem Kelch.« Tristans Zweifel mussten an seiner Miene zu erkennen sein, denn der andere Dämon lächelte. »Ich habe es auch nicht geglaubt«, gab er zu. »Ich war stets ein Kreuzritter. Ich habe genügend heilige Reliquien gesehen, um ihren Nutzen zu kennen. Wahres Böses zu vernichten gehört nicht dazu.«
»Aber Ihr glaubt trotzdem daran?«, fragte Tristan noch immer skeptisch.
»Ich habe ihn gesehen.« Seine Miene verfinsterte sich erneut, als erinnerte er sich an etwas Entsetzliches. »Und vor allem habe ich Kivars Reaktion darauf gesehen. Was auch immer der Kelch sein mag, Lucan Kivar will ihn besitzen, und ich weiß genug über ihn, um zu erkennen, dass ich nicht will, was auch immer er will.«
»Also wollt Ihr zuerst in seinen Besitz gelangen.« Tristan hatte schon mit Rittern zu tun gehabt, seit er zehn Jahre alt war. Er hatte jede hübsche Geschichte über den Gral gehört, die jemals ersonnen worden war, und hatte nicht eine einzige davon geglaubt. Aber als er das Gesicht seines sogenannten Bruders betrachtete, konnte er keinen Zweifel daran hegen, dass dieser an diesen Kelch glaubte und alles dafür tun würde, ihn in seinen Besitz zu bringen.
»Der Kelch bedeutet Erlösung«, sagte Orlando. »Für Simon und für Euch ebenfalls. Wenn ihr beide ihn findet, könnt ihr wieder Sterbliche werden.«
»Und warum, im Namen der Hölle, sollte ich das wollen?«, fragte Tristan lachend. Er brauchte Antworten, Anleitung für die Kräfte, die dieser Vampir ihm übertragen hatte, nicht irgendeinen Mythos über böse Geister und magische Kelche. »Ihr habt das Ende meines sterblichen Lebens bezeugt, Simon – schien es Euch so großartig, dass ich es erneut leben sollte?«
»Ich kenne Euch nicht«, räumte Simon ein. »Ich weiß, dass Euch übel mitgespielt wurde und dass die Männer, die bei Euch waren, Euch tot sehen wollten. Ich roch das Böse in ihrem Blut. Darum fühlte ich mich anfänglich von ihnen angezogen.«
»Ihr wisst nichts«, höhnte Tristan. »Die Männer, die Ihr getötet habt, waren nichts, nur Boten. Mein wahrer Feind lebt noch, ein gewöhnlicher Dieb, der mir mein Schloss, meinen Titel und sogar mein Kind gestohlen hat. Ihr sagt, Ihr wärt dieser Suche verschworen, und ich wünsche Euch, dass Ihr Erfolg habt, aber ich bin auch Dingen verschworen – meinem König, um diese Ländereien für die Krone zu erhalten, und meinem Kind, um sie vor Bösem zu beschützen.«
»Was ist Euer König, verglichen mit der Macht des Kelchs?«, fragte Orlando verächtlich. »Wie könnt Ihr Euer Kind beschützen, wenn Ihr selbst ein Geschöpf des Bösen seid?«
»Tristan, ich weiß, wie es ist, Rache zu suchen«, sagte Simon mit wesentlich mehr Mitgefühl in der Stimme. »Ich kenne die heilige Ehre eines Ritters, da ich dem Dienst an meinem Herrn verschworen war, und ich weiß, wie es ist zu lieben. Aber Orlando hat recht. Solange Ihr ein Vampir seid, könnt Ihr Eurem König nicht dienen und Euer Kind nicht retten. Ihr könnt ihnen nur Ungewissheit und Leid bringen.« Er trat einen Schritt näher. »Kivar ist in Euren Träumen zu Euch gekommen. Ihr habt seine Stimme gehört. Wenn Ihr ihn nicht bekämpft, wird er Euch und alle, die Ihr liebt, vernichten.«
»Kivar ist ein Traum, eine Fantasie«,
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