Gefangene der Dunkelheit
sich getragen?«
Nanas Augen wurden ganz klein, als sie lächelte. »Dass ich das noch einmal sehen darf! Ich hab gehört, dass es in ruchlose Hände geraten war. Ja, deine Mam trug den Speer des Schicksals und meine liebe Kayleigh das Schwert.«
»Alles«, sagte ich und setzte mich Nana zu FüÃen an den Kamin. »Ich möchte alles wissen.«
Isla OâConnor war die jüngste Sidhe-Seherin, die jemals in der Geschichte der Abtei den Posten der Haven Mistress â der Sprecherin des Hohen Rates â eingenommenhatte. Lange war keine so begabte Sidhe-Seherin mehr auf die Welt gekommen; selbst die Ãltesten erinnerten sich nicht daran. Die GroÃmeisterin fürchtete, dass die uralten Blutlinien durch leichtsinnige und unbedachte Verbindungen verwässert wurden. Man brauchte sich nur die gallolaighs MacRorys und die MacSweenys anzusehen, die sich mit Wikingern und Pikten zusammengetan hatten!
»Gallowglass«, erklärte mir Kat. »Eine Art Kriegssöldner.«
Niemand wusste, wer Islas Vater war. Meine GroÃmutter, Patrona OâConnor â Nanas Gesicht strahlte mit einem freudigen, zahnlosen Lächeln, als sie den Namen aussprach; sie waren gleich alt und enge Freundinnen, fast wie Schwestern â, hatte nie geheiratet und sich geweigert, den Namen von Islas Vater preiszugeben. Sie brachte Isla spät zur Welt und nahm das Wissen mit ins Grab, das sich übrigens wenige Meilen südlich von hier befand, falls ich Interesse daran hätte, meiner GroÃmutter die Ehre zu erweisen.
Patrona! Diesen Namen hatte Rowena erwähnt an dem Tag, an dem ich das Museum nach Feenobjekten abgesucht und sie mich auf der StraÃe eingeholt hatte. Sie betonte, dass ich Patrona ähnlich sah, konnte sich jedoch nicht erklären, wie das möglich war. Sie sagte, sie müsste es eigentlich wissen. Und jetzt verstand ich auch, warum. Rowena hatte meine GroÃmutter gekannt!
»Gibt es noch andere OâConnors auÃer mir?«
Nana schnaubte. »Irland ist voll von ihnen. Entfernte Verwandte. Aber keine Linie war so potent wie Patronas.«
Rowena hatte behauptet, dass es keine OâConnors mehr gebe. Hatte sie nur meine direkte Linie gemeint?
Ich sah das so: Im besten Fall hatte sie mich in die Irre geführt, im schlechtesten hatte sie mir dreiste Lügen aufgetischt.
Die GroÃmeisterin hatte verächtlich von der Familie meiner Mutter gesprochen, aber Nana beteuerte, dass es keinen Zweifel daran geben könne, dass Isla die talentierteste Sidhe -Seherin gewesen sei, die jemals in die Abtei eingetreten war. Im Laufe der Zeit waren sie und Nanas Enkelin Kayleigh nicht nur in den engsten Zirkel der Abtei aufgestiegen, sondern hatten auch die wichtigsten Posten eingenommen.
Es war ein gesegnetes Leben. Nana war stolz. Sie hatte ihre Kayleigh gut erzogen und ausgebildet.
Die alte Frau schloss die Augen und fing an zu schnarchen.
»Weck sie«, sagte ich zu Kat.
Kat zog die Decke fester um sie. »Sie hat beinahe ein Jahrhundert erlebt, Mac. Ich kann mir vorstellen, dass sie geschwächt ist.«
»Wir müssen mehr erfahren.«
Kat warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu. »Ich habe noch kein Wort über eine Prophezeiung oder das Buch gehört.«
»Genau deshalb müssen wir sie wecken.«
Es dauerte etliche Minuten, bis sich die alte Frau nach sanftem Schütteln und gutem Zureden rührte. Ihr schien gar nicht bewusst zu sein, dass sie eingeschlafen war, und sie knüpfte die Unterhaltung genau dort an, wo sie sie unterbrochen hatte.
Es war eine hoffnungsvolle Zeit, sagte sie. Die sechs stärksten Sidhe -Seher-Blutlinien wurden immer potenter: die Brennans, die OâReillys, die Kennedys, die OâConnors, die MacLoughlins und die OâMalleys. Injeder dieser Familien kamen Mädchen mit Talenten zur Welt, die früher erwachten und sich schneller entwickelten als bei anderen Mädchen.
Aber die Dinge änderten sich, und es brachen dunkle Zeiten an, Zeiten, in denen Nana über Land gegangen war und das Schlechte unter ihren FüÃen gespürt hatte. Die Erde an sich war ⦠besudelt. Etwas Fauliges erwachte und regte sich im Bauch der Erde. Sie bat die Mädchen, die Quelle ausfindig zu machen und das Böse unter allen Umständen aufzuhalten.
»Sind Sie auch eine Sidhe-Seherin ?«, fragte ich. »Haben Sie jemals in der Abtei gelebt?«
Nana war wieder eingeschlafen.
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