Gefangene der Flammen
blieb noch viele, viele Jahre und tötete die Krieger der Inkas genauso, wie es die der Wolkenmenschen getötet hatte. Niemand schien einen solch blutrünstigen Dämon besiegen zu können.«
Riley hätte am liebsten laut gelacht über solch absurde Überlieferungen. Sie hatte die Erzählungen gehört, aber auch alles Geschichtliche gelesen, was sie über die Wolkenmenschen und die Inkas hatte finden können. Natürlich gab es einige obskure Verweise auf Menschenopfer und sterbende Krieger, jedoch nur sehr wenige und keinesfalls genug, um die Geschichte zu untermauern, die ihre Mutter ihr erzählte … Trotzdem hatte Riley irgendwie das Gefühl, dass tatsächlich etwas Böses unter ihren Füßen wuchs, je näher sie dem Berg kamen. Hin und wieder fühlte sie die Erde beben. Und konnte sie nach all den merkwürdigen Zwischenfällen und Angriffen auf ihre Mutter Annabels Worte einfach so verwerfen?
»Sprich weiter!«, drängte Riley, obwohl sie sich am liebsten die Ohren zugehalten hätte. Ihr Herz schlug zu schnell – und irgendwie im Takt des Herzschlages der Erde. Sie fühlte die Bewegung unter ihren Füßen, als hörte sogar die Erde zu und versuchte, sie zu warnen, dass das Böse, was immer es auch sein mochte, im Begriff war auszubrechen.
»Da war ein Mann, der mit deiner Vorfahrin aus einem fremden Land kam. Er kämpfte lange und erbittert, doch er konnte das Böse nicht besiegen. Am Ende lockte Arabejila es mit dem Krieger zusammen in den Vulkan, was ein enormes Opfer war. Sie schloss sie dort ein, aber alle paar Jahre, um eine Eruption des Vulkans zu verhindern, was das Böse freigesetzt hätte …«
»Niemand könnte sich Hunderte von Jahren in einem Vulkan aufhalten, Mom, und noch am Leben sein«, stellte Riley entschieden fest. Denn so war es doch – oder nicht? Der unangenehme Geschmack von Furcht in ihrem Mund besagte allerdings etwas ganz anderes.
»Ich weiß, dass sie dort eingeschlossen sind oder zumindest die Kreatur noch da ist. Ich habe sie gespürt , und jetzt spürt sie auch jeder andere hier. Ich habe mich verspätet, und falls sie entkommt, wird jeder, den sie tötet, auf mein Konto gehen. Und töten wird sie, immer und immer wieder.«
Riley schüttelte den Kopf. »Das ist ja lächerlich! Du hattest keine andere Wahl, als bei Dad zu bleiben. Und hier wurden wir immer wieder aufgehalten …« Riley unterbrach sich. Falls dieses ›Böse‹ in irgendeiner Weise ihre Mitreisenden beeinflusste, war es da wirklich so weit hergeholt zu denken, dass das Böse es sein könnte, das sie aufhielt? »Wie könnte dieses Ding nach all der Zeit noch leben? Du sprichst von ungefähr fünfhundert Jahren, Mom!«
»Es lebt. Ich fühle es. Du fühlst es. Das Böse lebt und wandelt auf dieser Erde, Riley, und es ist deine und meine Aufgabe mitzuhelfen, ihm Einhalt zu gebieten. Das ist das Vermächtnis, das uns hinterlassen wurde, und wir haben keine Wahl. Wenn diese Bestie in die Welt hinausgelangt und tötet, haben wir versagt.«
»Was tun wir, wenn wir auf dem Berg sind, Mom?« Riley traf eine Entscheidung. Was auch immer geschah, ihre Mutter war fest entschlossen, auf diesen Berg zu steigen und das Ritual zu vollziehen, das ihre eigene Mutter sie gelehrt hatte. Sie war durch nichts zurückzuhalten, egal, wie erschöpft sie war, und deshalb würde Riley sie zu ihrem Ziel bringen und die Aufgabe so schnell wie möglich ausführen. Ihre Mom lebte nicht in einem Wahn. Was sie sagte, meinte sie völlig ernst. Riley konnte die ungeschönte Wahrheit in jedem ihrer Worte hören.
»Du weißt, was zu tun ist«, sagte Annabel. »Ich habe es dich gelehrt, seit du ein Kind warst. Falls wir unser Ziel erreichen, musst du zu diesem Berg kommen, wenn du schwanger bist, und deine Tochter hier zur Welt bringen. Sie muss zu einem Teil der Erde werden. Die Fähigkeiten, die du in dir trägst, sind stark, viel stärker, als meine oder sogar die meiner Mutter je gewesen sind. Ich konnte fühlen, wie die Erde dich als ihr Kind annahm, als ich dich in die Spalte legte, die als Wiege dient.« Annabel wischte sich den Schweiß vom Gesicht. »Die Sonne wird bald untergehen. Das ist die gefährlichste Zeit, Riley. Tagsüber verhält sich dieser Unhold ruhig, doch nachts kann er gebieten. Unterschätze ihn nicht! Nach allem, was ich hörte, kann er schön und charmant erscheinen, aber er ist von Grund auf böse. Falls mir etwas zustößt …«
»Sag das nicht, Mom!«, protestierte Riley. »Denk es nicht einmal! Ich lasse nicht zu,
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