Gefangene der Flammen
Nein, der heutige Weg war sehr viel strapaziöser – Kilometer um Kilometer dichter, schier undurchdringlicher Vegetation, die jeden Pfad fast ebenso schnell wieder überwucherte, wie er frei geschlagen wurde. Dies war ein extrem gefährliches Terrain. Eine falsche Drehung oder seinen Vordermann aus den Augen zu verlieren genügten schon, um sich in diesem unübersichtlichen Dickicht zu verirren.
Riley wusste, dass sie auf ihre Hände und Füße achten und versuchen musste, keine Pflanzen oder Bäume zu streifen. Die meisten waren harmlos, doch die wenigen anderen konnten extrem gefährlich sein. Außerdem war es gar nicht leicht, einen Baum, den man problemlos berühren konnte, von einem anderen, giftigen zu unterscheiden, der eine sofortige Hautallergie oder Schlimmeres hervorrufen würde.
Pflanzen waren für Riley ebenso schwierig zu unterscheiden, egal, wie oft der Führer sie ihr zeigte. An den leuchtenden Farben der Frösche und Eidechsen konnte sie erkennen, welche giftig waren, und tellergroße Taranteln waren ebenso offensichtlich wie die Schlangen, die ihnen begegneten. Doch was Insekten anging, gab es viel zu viele Arten, um sich erinnern zu können, welche gefährlich waren.
Ihre Mutter stolperte plötzlich, und Riley sprang vor, um zu verhindern, dass sie stürzte. Sie hatte noch nie erlebt, dass Annabel im Regenwald über Wurzeln gestolpert war. Ihre Mutter war stets sehr trittsicher gewesen und pflegte sich mit beneidenswerter Leichtigkeit zwischen den Pflanzen und dem Laubwerk zu bewegen.
Annabel verstärkte den Druck ihrer Hand um Rileys Arm und blickte sich nach dem Träger Capa, Rauls Bruder, um, der nicht weit hinter ihnen ging. »Wenn wir den Fuß des Berges erreichen, müssen wir mit unserem Führer und zwei Trägern weitergehen. Selbst wenn es schon dunkel ist, und egal, wie sehr sie protestieren, wir müssen heute Nacht noch auf den Berg hinauf«, erklärte Annabel so leise, dass Riley sie fast nicht verstehen konnte. »Irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht, und ich fürchte, dass wir schon zu spät kommen. Das ist meine Schuld, Liebes. Ich hätte mich schon früher auf die Reise machen sollen.«
»Dad hatte einen Herzanfall, Mom«, protestierte Riley, aber das ungute Gefühl in der Magengegend sagte ihr, dass ihre Mutter recht hatte. Irgendetwas stimmte hier nicht, doch mitten in der Nacht den Berg hinaufzusteigen würde das Problem nicht lösen. »Was hättest du denn tun sollen? Aufbrechen und Dad im Krankenhaus allein lassen? Wir haben uns auf den Weg gemacht, sobald wir konnten.«
Annabel schluckte und blinzelte, um das Brennen in ihren Augen zu verdrängen. Sie hatte im Krankenhaus bei ihrem Mann geschlafen und ihn in den Armen gehalten, als er starb. Er hatte noch zwei Wochen gelebt, bevor sein Herz der Krankheit erlegen war, gegen die er fast sein Leben lang gekämpft hatte. Riley wusste, dass ihre Eltern unzertrennlich gewesen waren und keine Minute verging, in der ihre Mutter nicht um ihren Mann trauerte. Annabel war immer lebhaft und temperamentvoll gewesen, doch seit dem Tod ihres Mannes schien sie viel stiller und verschlossener zu sein. Genau genommen war es sogar so, dass Riley aus Angst, ihre Mutter an puren Kummer zu verlieren, schier unentwegt an ihrer Seite blieb.
Da beide Frauen wussten, was sie für einen längeren Marsch durch den Dschungel brauchten, trugen sie Jeans und Stiefel, um Insektenbissen und Kratzern von schädlichem Blattwerk vorzubeugen, doch das Vorankommen war trotzdem schwierig. Normalerweise schien Annabel einen angeborenen Orientierungssinn zu haben, während Riley schon Minuten nach dem Verlassen des Bootes und Betreten des dämmrigen Regenwaldes nicht mehr gewusst hatte, wo sie war.
Ihre Mutter hatte immer eine so starke Verbundenheit zu dem Land gehabt, besonders hier im Dschungel, dass man hätte glauben können, sie hätte einen eingebauten Kompass. Im Augenblick ließ sie jedoch Anzeichen von Zerstreutheit und Nervosität erkennen, die bei Annabel so selten waren, dass Rileys Sorge um sie wuchs. Das in Verbindung mit Annabels gelegentlichem Stolpern verriet Riley, dass ihre Mutter sich innerlich sogar noch mehr entfernte.
Riley holte tief Luft und atmete sie langsam wieder aus, als sie sich zurückfallen ließ, um in die Fußabdrücke ihrer Mutter zu treten. Schon als Kind hatte sie gelernt, dass der sicherste Ort im Dschungel direkt hinter ihrer Mom war. Die Pflanzen schützten sie dann eher, statt sie anzugreifen. Wohin ihre Mutter
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