Gefangene der Flammen
auch trat, überall entlang des schmalen Weges, den sie nahm, schossen Pflanzen auf. Palmwedel entfalteten sich, und Schlingpflanzen entwirrten sich. Manchmal regnete es Blüten um sie herum. Solange Riley also in die Fußabdrücke ihrer Mutter trat, würde kein Dorn oder stacheliges Blatt ihr etwas anhaben.
Stunden schienen zu vergehen, während sie durch den Wald marschierten. Die Hitze war erdrückend in der völligen Windstille unter dem dichten Blätterdach. Manchmal war der Boden unter ihren Füßen frei, und das Gehen wurde leichter, doch dann gerieten sie plötzlich wieder in solch dichtes Unterholz, dass es fast undurchdringlich war. Riley, die ihre Mutter beim Gehen im Auge behielt, merkte, dass sie immer mehr zurückblieb.
Auch Jubal und Gary verlangsamten ihr Tempo, weil sie anscheinend ebenfalls auf Annabel aufpassten. Riley nahm ihr den Rucksack ab und schulterte ihn. Es war bezeichnend, dass ihre Mutter nicht protestierte. Nach einer halben Stunde fiel Ben Charger zurück und übernahm Annabels Gepäck. Die drei Männer wechselten sich im Tragen ab. Annabel ging mit gesenktem Kopf und ließ immer mehr die Schultern hängen, je näher sie dem Fuß des Berges kamen. Sie bewegte sich seltsam schlurfend fort, als ginge sie durch Treibsand. Jeder Schritt schien sie enorme Mühe zu kosten. Selbst das Atmen fiel ihr schwerer.
Es war offensichtlich, dass die Führer sich einen Wettstreit mit der Sonne lieferten, um noch vor Einbruch der Nacht den Berg zu erreichen, was Riley ganz recht war, ihre Mutter aber nicht schaffen würde. Annabel war sehr still geworden und starrte unentwegt auf Jubals Rücken, um nicht vom Weg abzukommen. Inzwischen schwankte sie vor Erschöpfung, und ihre Kleider und Haare waren nass vor Schweiß. Sie mussten anhalten und rasten.
Zum Glück beschwerte sich auch Weston bitterlich. »Was ist das hier? Ein Marathon?«, rief er.
»Miguel«, wandte Jubal sich mit ruhiger Bestimmtheit an den Führer. »Wir müssen anhalten und ein wenig rasten«, sagte er in Miguels Muttersprache. »Eine halbe Stunde nur, dann gehen wir weiter. Lass die Leute verschnaufen und etwas trinken! Hinterher werden sie auch schneller sein.«
Miguel blickte mit besorgter Miene zum Himmel auf, nickte dann aber und suchte ihnen eine kleine Lichtung mit ein paar flachen Steinen, auf denen sie sitzen konnten. Riley schenkte Jubal ein dankbares kleines Lächeln, als sie ihm den Rucksack ihrer Mutter abnahm und zum Rand der Lichtung ging, um Annabel ein wenig Ungestörtheit zu verschaffen. Nur gut, dass sie nicht noch mehr Aufmerksamkeit erregt hatte!
»Wir können nicht rasten«, flüsterte Annabel, sobald sie allein waren. »Wir müssen uns beeilen.«
»Du brauchst eine Atempause, Mom«, protestierte Riley. »Hier, trink das!«, sagte sie und reichte ihrer Mutter ihre eigene Wasserflasche.
Annabel schüttelte den Kopf. »Du wirst mich zurücklassen müssen, wenn ich es nicht schaffe.«
»Mom.« Riley zwang sich, streng zu sein. Annabel sah so erschöpft und blass aus, dass sie sie eigentlich nur in die Arme nehmen und halten wollte. »Du musst mir sagen, was hier vorgeht. Was erwartet uns dort oben auf dem Berg? Du darfst mich nicht länger im Ungewissen lassen.«
Annabel blickte sich nach einem Sitzplatz um und fand einen kleinen Felsbrocken zwischen zwei Bäumen, auf dem sie sich seufzend niederließ. Ihre Hände zitterten, als sie sie langsam auf dem Schoß verschränkte. »All die Geschichten, die dir als kleines Mädchen über den Berg und die Wolkenkrieger erzählt wurden, waren keine Gruselmärchen, Riley, sondern wahr. Sie sind die Geschichte unseres Volk es.«
Riley schluckte heftig. Diese »Geschichten« waren der Stoff, aus dem Albträume waren. Geschichten von etwas schrecklich Bösem, das die größten Krieger abschlachtete, ihnen die Kehle zerfetzte, ihr Blut trank und Menschenopfer forderte, Kinder und junge Frauen. Doch nichts konnte den Dämon besänftigen. »Mom, es waren die Inkas, die die Wolkenmenschen besiegten …«
»Das konnten sie nur deshalb, weil die besten Krieger der Wolkenmenschen schon getötet worden waren«, unterbrach Annabel ihre Tochter. »Die Menschen lebten in Angst.« Sie sah Riley in die Augen. »Die Inkas waren stark und hatten ebenso erbitterte Kämpfer. Sie nahmen einige der Wolkenfrauen zur Frau, einschließlich deiner Vorfahrin, einer Frau namens Arabejila. Sie war es, die die Wahrheit – und auch ihre Fähigkeiten – an ihre Tochter weitergab. Das Böse
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