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Gefangene der Sehnsucht

Gefangene der Sehnsucht

Titel: Gefangene der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kris Kennedy
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müßige Musterung; er hatte nicht die Absicht, die Mauer hinaufzuklettern. War es doch sehr viel einfacher, die Tür einzutreten. Das Holz war massiv; das Schloss war es nicht.
    Aber das würde er nur tun, sollte es unbedingt erforderlich sein.
    »Kennst du hier irgendjemanden, Ry?«
    »Hier? Wo?«
    Jamie wandte den Blick von der Fassade des teuren, aus Stein erbauten Hauses ab. »Hier in Gracious Hill.«
    Ry sah ihn ausdruckslos an. »Dass ich als Jude aufgewachsen bin, impliziert nicht, dass ich jeden Juden Englands kenne.«
    Jamie erwiderte den Blick ebenso ausdruckslos. »Du könntest durchaus ein paar kennen – in Anbetracht der Tatsache, dass die Familie deiner Mutter aus dieser Stadt stammt und ich zufällig weiß, dass du als Kind hier oft zu Besuch warst.«
    Ry schüttelte den Kopf und ging davon, die sauberen, kopfsteingepflasterten Straßen des Alten Judenviertels hinunter, das »Alt« genannt wurde, obwohl es kein »Neues« Judenviertel gab. Aber es hatte so oft Pogrome gegeben und Könige, die »ihre« Juden verkauft, sie dann vertrieben hatten und sie Jahre später für das Privileg des Zurückkommens hatten zahlen lassen. Und das nur, um das Ganze einige Zeit später zu wiederholen, ganz nach der Laune eines nächsten Königs.
    Aber König John war auf eine besondere Weise beschützend; und in einer von jenen seltsamen Beziehungen, zu einer Zeit, in der Bürger und reiche Barone durch Johns Eingriffe in ihre Rechte und Schatullen an ihre Grenzen gestoßen wurden, waren die Juden unter seiner repressiven Herrschaft sicherer, als sie es unter jedem anderen englischen König gewesen waren.
    Eine Viertelstunde später kehrte Ry zurück, begleitet von einem Mann mit krummen Schultern und bekleidet mit einer Kippa. Ry sah grimmig aus, aber der Rabbi wirkte noch grimmiger. Er verbrachte einen langen, schweigend-tadelnden Moment damit, Jamie zu mustern, dann wandte er sich mit ernstem Blick wieder Ry zu.
    »Ich hoffe inständig, deine Mutter weiß, was du treibst.«
    Rys Augen verengten sich bei der Anstrengung, einem offensichtlich mächtigen Drang zu widerstehen – Jamie konnte nur vermuten, welchen –, aber er antwortete in respektvollem, wenn auch kühlem Ton: »Mama ist gestorben, als sie das Judenviertel wieder einmal niederbrannten.«
    Der Rabbi schüttelte den Kopf, sei es aus Abscheu oder Kummer, und wandte sich zur Tür. Er klopfte dreimal an.
    Nach einem Moment wurde die Tür geöffnet. Das gleiche gelbe Licht fiel heraus wie vorher. Derselbe Diener steckte den Kopf durch die Tür wie vorher. Aber dieses Mal begleitete ihn die dröhnende Stimme einer anderen, größeren Gestalt, die hinter ihm auftauchte und die nicht nur distinguiert, sondern auch sehr verärgert aussah. Zudem hatte sie ein blaues Auge.
    »Was hat das zu bedeuten, dieses …«, begann er, dann sah er den Rabbi. »Mecham, was tust du hier?«
    Rys stirnrunzelnder Rabbi seufzte und zeigte auf Ry. »Rebekka, die Yakovs Sohn Josef geheiratet hat, in London. Das hier ist ihr Sohn. Hayyim. Er braucht unsere Hilfe.«
    »Ry«, korrigierte der Genannte knapp.
    Jacob der Doktor sah sie lange an, dann schob er seinen Diener zur Seite, trat einen Schritt zurück und winkte sie schweigend herein. Mecham schüttelte erneut den Kopf, wobei er die gleiche Mischung aus einredendem Schuldgefühl und Kummer zeigte, die Jamie von Rys Mutter kannte. Der Rabbi beugte sich vor, um dem Arzt kurz die Hand zu schütteln, dann eilte er davon, zurück in die Dunkelheit des Ghettos.
    Jamie und Ry traten vorsichtig ein, schauten sich prüfend in den Zimmern um, während sie die Tür schlossen und den Riegel vorlegten und dem Arzt in ein großes Zimmer folgten.
    Jacob der Doktor ging sofort zur gegenüberliegenden Wand, wo er begann, Tiegel aus Porzellan in das Regal zu stellen. Ry stellte sich gegenüber des Eingangs auf, und Jamie blieb an der Tür stehen. Sie schauten auf das Profil des Arztes. Sein Auge begann bereits, sich schwarz zu verfärben.
    »Es ist spät«, sagte der Arzt, ohne sie anzusehen. »Ich bin müde. Was wollt Ihr?«
    »Wir kommen mit einer einfachen Frage, Doktor. »Hattet Ihr heute Patienten?«
    Er hörte damit auf, Porzellantiegel wegzustellen, und ging zu Glasflaschen über. So fleckig grün, wie sie waren, sahen sie aus wie kleine, nasse, missgestaltete Frösche. »Ich habe jeden Tag Patienten.«
    »Neue Patienten.«
    »Auch neue. Jeden Tag.«
    Ry sagte ruhig: »Einen Priester.«
    Die geschäftigen Hände des Arztes hielten inne,

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