Gefangene der Welten
zusammen, bis ihr Kiefer knackte. Viel zu lange hatte sie sich mit ihrer Opferrolle abgefunden und sie war zutiefst erleichtert, dass in ihr anscheinend doch noch ein Funken gesunder Menschenverstand existierte, sodass sie nun endlich Raum für ihre Wut fand.
Lan’tash beobachtete sie für einen Moment sehr ernsthaft. Dann setzte er neu an. „Ich verstehe, dass dies alles sehr überraschend und verwirrend sein muss für Euch, Madame. Doch glaubt mir, wenn Ihr…“ – „Überraschend? Verwirrend? Das ist gar kein Ausdruck dafür, wie ich mich fühle!“, unterbrach sie ihn ungestüm und mit lauter Stimme. „Sie haben mich entführt! Brutal entführt und verschleppt! Das nennt man Freiheitsberaubung, Mister! Dafür gibt es Knast! Und Sie können sicher sein: Ich werde dafür sorgen, dass Sie Ihre gerechte Strafe bekommen werden!“, schloss sie schließlich. Damian betrachtete seine feurige Braut und fragte sich, was sie mit der Aussage meinte. Er vermutete, dass die Rede war von einem Kerker oder den staatlichen Verliesen, doch sicher war er sich nicht.
Lan’tash versuchte es erneut: „Madame, vielleicht möchtet Ihr Euch etwas ausruhen? Die Reise hierher war sicherlich anstrengend und die Nerven sind überreizt…“
Das ist doch die Höhe!
Sydney trat wütend auf Lan’tash zu. Doch noch ehe sie den alten Mann erreicht hatte, blockierte Damian ihr den Weg. Das Risiko, was ihre Annäherung an Lan’tash beinhaltete, schien ihm eindeutig zu groß, als dass er unbeteiligt daneben stand und zusah. „Sydney, beruhigt Euch wieder.“, versuchte er sie zu beschwichtigen. Sydney kniff die Augen zusammen und starrte ihn an. „Nenn‘ mich nicht so!“, zischte sie ihm zu. „Ich bin es satt, deinen Befehlen Folge leisten zu müssen! Ich werde jetzt gehen und keiner von euch wird mich aufhalten!“
Damit schlug sie einen Bogen um Damian und ging auf die Tür zu. Damian wollte sie aufhalten, als Lan’tash ihn am Arm zurückhielt.
„Folge ihr, mein Freund, und gönne ihr einen Moment der Ruhe. Mir scheint, sie benötigt sie.“ Damian nickte und folgte ihr in einigem Abstand.
Sydney hastete den Gang entlang und versuchte, die neugierigen Blicke zu ignorieren, als sie die Treppe hinunterlief und die Halle durchquerte. Sie war wütend. Wütend auf all diese Menschen. Wütend auf Damian. Und wütend auf sich selbst. Oh ja, vor allem war sie wütend auf sich selbst. Ihr Innerstes krampfte sich vor Ärger zusammen beim Gedanken an ihre Passivität im Wald und daran, wie sie es einfach zuließ, was mit ihr geschah. Sicher, es war eine Ausnahmesituation und sie war verwirrt angesichts der sich überschlagenden Ereignisse. Nicht zuletzt hatten ihre Gefühle und Hormone sie scheinbar völlig überrannt, als sie Damian sah. Doch nichts davon entschuldigte ihr Verhalten. Himmel, eine Entführung! Das war eine üble Sache; kein einfacher Kleinjungenstreich! Manche Entführungsopfer waren nie wieder gesehen. Wie konnte sie das nur zulassen? „Sydney, du bist so dumm! Du bist eine intelligente Person! Warum lässt du das alles mit dir machen?!“ schimpfte sie laut. Ein kleiner Junge, der soeben einen Korb Kartoffeln hineintrug, warf ihr einen irritierten Blick zu. Schnell hastete Sydney an ihm vorbei und trat ins Freie. Tief atmete sie die Luft ein. Es roch erbärmlich nach Abfällen und Tieren. Sie rümpfte die Nase und atmete fortan durch den Mund. Ihr Blick wanderte über die Szenerie und blieb am Burgtor hängen. Ohne zu zögern, lief sie darauf zu. Nun, wo sie einmal ihre Passivität abgelegt hatte und endlich ihren Drang nach Freiheit und Überleben spürte, wollte sie keine weitere Sekunde vergeuden. Es war an der Zeit, dass sie fortkam. Dabei erstaunte es sie nur am Rande, dass Damian sie nicht längst zurückgeholt hatte. Als sie das riesige Tor erreichte, entdeckte sie eine schmale, schmiedeeiserne Tür, die darin eingearbeitet war. Entschlossen griff sie danach. Das Metall fühlte sich kühl zwischen ihren Fingern an. Sie drückte den Griff herunter und zog. Doch die Tür blieb verschlossen. Frustriert schlug sie ihre Hände dagegen. Natürlich. Sie hätte es wissen sollen. Damian hatte sie nicht eingeholt, weil er genau wusste, dass es kein Entkommen für sie gab. Ein Schluchzen stieg in ihrer Kehle auf. Plötzlich hatte sie einen Kloß in ihrem Hals, der ihr das Atmen schwer machte. Sie spürte, wie ihr Gesicht heiß wurde und Tränen ihr den Blick auf die Freiheit verschleierten.
Oh nein. Nicht heulen,
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