Gefangene des Engels - Pierce, M: Gefangene des Engels - The Darkangel Trilogy: The Darkangel (1), A Gathering of Gargoyles (2), The Pearl of the Soul of the World (3)
Reisenden näherte sich ihr von Norden und Westen.
Aeriel streifte die Kapuze ihres Reisemantels über. Der Wind hatte sich von der See her erhoben. Niemand zollte ihr die geringste Aufmerksamkeit, als sie sich unter die anderen Menschen mischte, die die Stadt durch die hohen, geflügelten Tore betraten, weder die Frauen in ihren langen Tuniken noch die Männer in Hosen und Hemden. Ihre Haut war fahl, von einem staubigen Blau. Aeriel hatte noch nie zuvor blauhäutige Menschen wie die Berner gesehen.
Die Stadt war kleiner als Isternes, man sah dort nicht die zierlichen Arkaden und Rundbögen des Ostens. Die Gebäude in Talis waren alle niedrig und rechteckig, teilweise mit silbrigem Holz oder perlgrauem Gestein verkleidet. Aeriel ging durch Marktstraßen und Gassen, in denen Juweliere ihre Waren feilboten. Parfümhersteller brauten seltsam duftende Essenzen zusammen; Messerschmiede boten ihre Produkte an: fein ziselierte Klingen und mit Edelstein geschmückte Hefte.
Einmal sah Aeriel, wie ein Juwelier aus seinem Ärmel eine kleine Phiole hervorzog, die halb mit einer blauen Flüssigkeit gefüllt war. »Reiner Korund«, flüsterte er, als er ihn einem Interessenten anbot, »das Blut des Meeres.« Ein Schluck, so sagte er, würde einen ein Dutzend Jahre lang nicht altern lassen, und er würde den Korund nur für den tausendfachen Preis seines Gewichts in Silber verkaufen.
Dann schüttelte er die Phiole, ihr Inhalt glitzerte und perlte wie Wasser, aber als Aeriel näher hinsah, merkte sie, dass es Staub war, sehr ähnlich dem Staub, den sie dem Meer entnommen hatte, obwohl er nicht von diesem tiefen Blau war. Weder der Händler noch der Käufer warfen ihr einen Blick zu, obgleich der Verkäufer kurz zuvor zwei zerlumpte Jungen fortgejagt hatte. Aeriel ging weiter.
Sie überquerte einen Platz und stand vor einer Taverne, deren Hof von einer hohen Mauer umschlossen war. Zwei groß gewachsene Türhüter standen auf der Schwelle der Speisehalle. Sie scheuchten Gaffer und Neugierige davon.
Aeriel trat näher und erwartete, ebenfalls fortgeschickt zu werden, aber keiner der beiden gönnte ihr auch nur einen Blick.
So schlüpfte sie unbehelligt zwischen ihnen hindurch. Verwundert zuckte sie die Schultern und sagte sich, dass eine Musikantin, die um den Lohn eines Abendessens aufspielte, wohl der Beachtung nicht wert sei.
Die Halle war riesig, mit Menschen und Tischen überfüllt. Das späte Licht der Abenddämmerung strömte durch die Fenster. Ein großer offener Kamin nahm die Hälfte der gegenüberliegenden Wand ein. Aeriel hatte noch nie so viel Holz auf einmal brennen sehen. In Terrain, wo Holz kostbar war, brannte man Öl in Lampen, aber hier verbrannten große Scheite und Äste, nicht mit der gelbweißen Flamme des Öls, sondern rot.
Nur zwei Personen saßen vor dem Kamin. Ein kräftiger junger Mann mit hellem Haar und blassgrüner Haut und seine Gefährtin, ein Mädchen, jünger als Aeriel, aber sehr schlank. Ein Stirnband bändigte ihr zimtfarbenes Haar. Ihre Haut war blau wie die aller Berner.
Aeriel kniete sich vor den Kamin, stellte ihren Wanderstab in eine Ecke und schlug ihre Kapuze zurück. Das blauhäutige Mädchen, das gedankenverloren in ihre Richtung geblickt hatte, fuhr plötzlich zusammen und starrte Aeriel an. Aeriel erwiderte ihren Blick.
»Stimmt etwas nicht?«, fragte sie. Sie zog ihren Reisemantel aus, legte ihn neben sich und wickelte ihre Laute aus.
Das Mädchen starrte noch einen Moment, schüttelte dann den Kopf. »Wie lange bist du schon hier? Ich habe dich nicht gesehen.«
Aeriel lächelte. »Erst ganz kurz. Ich heiße Aeriel.« Sie setzte sich und fing an, ihre Laute zu stimmen.
Die Züge des Mädchens erhellten sich plötzlich. »Bist du eine fahrende Sängerin? Dann musst du heute Abend wohl die Einzige in Talis sein. Kein Wunder, dass die Türhüter dich hereingelassen haben. Wie viel hast du ihnen bezahlt?«
Aeriel blickte hoch. »Nichts. Sie haben mich überhaupt nicht beachtet.«
»Sie haben dich umsonst hereingelassen?«, rief das Mädchen. Mit in die Hüften gestemmten Fäusten sah sie wütend zur Tür hin. »Wir mussten Eintritt bezahlen.«
Sie warf ihrem Gefährten einen Blick zu, aber der junge Mann sagte nichts, er beobachtete die beiden jedoch aufmerksam. Aeriel fragte sich, ob er überhaupt sprechen konnte. Das blauhäutige Mädchen zuckte mit den Schultern und setzte sich wieder. »Nun, das ist egal. Wir machen das heute Abend mehr als dreimal wieder wett.«
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