Gefangene des Engels - Pierce, M: Gefangene des Engels - The Darkangel Trilogy: The Darkangel (1), A Gathering of Gargoyles (2), The Pearl of the Soul of the World (3)
die das Gasthaus zu bieten hatte.
Nat sagte: »Sie haben den Käfig mit der Bestie in den Hinterhof gestellt, und alle anderen Gäste sind in der Hoffnung gekommen, einen Blick darauf werfen zu können.«
Wieder ertönte der schauerliche Schrei. Wieder wurde das Stimmengemurmel leiser.
»Was wollen sie mit der Bestie machen?«, fragte Aeriel. Dieser unirdische Schrei fuhr ihr durch Mark und Bein.
Nat zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich verkaufen. Sabr, die Banditenkönigin im Norden, hält sich seltsame Tiere, Pferde, glaube ich, werden sie genannt. Vielleicht kauft sie die Bestie.«
Sie wollte weiterreden, aber die Gäste verlangten nach Unterhaltung. Nat und Galnor standen auf und jonglierten.
Die Zuschauer warfen ihnen zuerst Früchte und Kuchen zu, dann Löffel und Bestecke. Schließlich Münzen, die alle unversehens
verschwanden, wenn Nat jonglierte. Die Gäste lachten und warfen ihr noch mehr zu.
Doch schließlich kam Aeriel an die Reihe. Galnor und Nat kehrten zum Feuer zurück. Aeriel nahm ihre Laute. Eigentlich wollte sie ein Lied aus Isternes vortragen, aber die Gäste verlangten nach einer Geschichte mit unheimlichen Fabelwesen.
So rezitierte sie die Geschichte des Engels der Nacht. Mal singend, mal sprechend erzählte Aeriel von dem Terrainer Mädchen, das seiner Herrin zum Schloss des Vampirs folgte, und den Gespensterfrauen und den verzauberten Ungeheuern, die ihm als Wachhunde dienten.
Stille senkte sich über die große Halle, alles Gemurmel erstarb, selbst das geisterhafte Heulen aus dem Hinterhof verebbte. Aeriel war noch nicht zum Ende der Geschichte gekommen, hatte erst erzählt, wie sie die Gargoyles von ihren silbernen Ketten befreite, als auf dem Hof ein großer Tumult ausbrach: Schreie, Rufen, dann das Geräusch zersplitternden Holzes und Schritte. Aeriel hörte mitten im Satz auf. Zwei Banditen kamen durch die Tür gerannt.
»Herr«, rief einer von ihnen, »die Bestie ist frei. Sie schien ganz ruhig. Wir beobachteten sie nicht, wir lauschten dem Gesang. Sie muss die Käfigstäbe zerbissen haben …«
Der Bandit verstummte mit einem Schrei. Hinter den beiden stand die Tür weit offen. Niemand hatte daran gedacht, sie zu schließen oder zu verriegeln. In der Nähe sitzende Gäste stoben auseinander, als die Bestie hereinstürmte.
Sie knurrte wie ein Hund und schnappte nach den Gästen. Alles an ihr war grau; selbst ihre Augen und Zähne und Zunge
waren grau. Ihr Fell war glanzlos und matt. Ein gelber Ring aus Metall umschloss ihren Hals.
Aeriel starrte das Tier an. Ihr Herz zog sich zusammen. Neben ihr klammerte sich Nat an Galnor. Dann erblickte das Tier Aeriel. Seine grauen Augen wurden groß. Es humpelte auf Aeriel zu.
Die Menschen wichen vor ihm zurück und bildeten eine Gasse. Einige hatten ihre Dolche gezückt, aber niemand wagte es zuzustechen. Aeriel erhob sich halb und legte ihre Laute zur Seite. Sie konnte die Rippen unter dem struppigen Fell zählen. Ihre Knie gaben nach.
»Grauling«, flüsterte sie. »Grauling, erster Gargoyle, den ich gezähmt habe. Was ist aus dir geworden? Du bist nur noch Haut und Knochen.«
Einen Augenblick starrte der Gargoyle sie mit hochgezogenen Lefzen an; die Zunge hing ihm aus dem Maul. Er schwankte. Seine zerfetzten Ohren lagen eng am Schädel an. Aeriel streckte ihre Arme nach ihm aus.
»Ich habe dich nicht befreit, damit du so elendig lebst.«
Die Bestie legte sich vor ihr auf den Boden. Sie kroch vorwärts, ein schluchzendes Heulen drang aus ihrer Kehle. Ihre gebogenen Krallen rissen die Dielenbretter auf. Aeriel beugte sich vor, als der graue Gargoyle seinen großen Kopf in ihren Schoß legte.
Stille herrschte in dem großen Saal, nur das verhaltene Atmen der starrenden Zuschauer und das Knistern des Feuers waren zu hören.
»Eine Hexe!«, wisperte jemand dann. »Die Geschichtenerzählerin
ist eine Hexe. Seht nur, wie sie die Bestie verzaubert hat.« Aeriel blickte nicht auf, war sich aber der Gäste, die unbehaglich auf ihren Stühlen herumrutschten, und Nats Blicken deutlich bewusst. Die Banditen von Arl sahen sie mit blankem Zorn an. Aeriel streichelte den mächtigen Kopf des Gargoyle und fuhr tröstend über seinen matten, dünnen Pelz.
»Was ist aus dir geworden?«, murmelte sie wieder. »Du siehst aus, als hättest du, seit wir uns trennten, nichts gegessen. Iss dies.« Sie griff in ihren Packen.
»Noch mehr Hexerei!«, schrie eine Frau. »Was hat sie in der Hand?«
»Ein Juwel.«
»Einen Dolch …«
»Es ist
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