Gefangene des Engels - Pierce, M: Gefangene des Engels - The Darkangel Trilogy: The Darkangel (1), A Gathering of Gargoyles (2), The Pearl of the Soul of the World (3)
getrübt. An ihrem Hinterkopf verspürte sie einen scharfen Schmerz. Irgendetwas tanzte leichtfüßig auf ihrem Rücken herum. Aeriel rollte sich herum, schlug nach den langen, stöckrigen Beinen des Reihers. Der weiße Vogel hüpfte ungeschickt davon.
»Dank dir, Ravenna!«, rief er aus. »Ich dachte schon, ich hätte dich getötet.«
»Fast wäre es dir geglückt«, murmelte Aeriel und rieb sich die Beule an ihrem Hinterkopf. Sie hatte die Größe eines Taubeneis. »Was ist mir auf den Kopf gefallen?«
»Ich bitte dich um Entschuldigung«, antwortete der Vogel. »Es entglitt mir.«
Aeriel konnte wieder alles klar sehen. »Ich kenne dich«, sagte sie plötzlich.
Sie erinnerte sich an den mit einem Reiher geschmückten Nachen, den der Zwerg für sie angefertigt hatte, damit sie aus der Gefangenschaft des Engels der Nacht fliehen konnte. Damit war sie so weit wie möglich gereist und dann zu Fuß weitergegangen. Beim Zurückblicken hatte sie kein Boot mehr gesehen, sondern einen großen weißen Vogel.
»Wind-auf-dem-Wasser!«, rief sie.
Der Reiher hob einen Flügel und putzte sich. »Derselbe«, entgegnete er, »obwohl mein Name in dieser Gestalt Flügel-im-Wind lautet.«
Aeriel fiel auch wieder ein, wie der Löwe von Pendar ihr einmal erzählte, dass ein Reiher dieses Namens ihm von ihrem Kommen berichtet hatte.
»Du bist es also«, sagte der Reiher da, »Aeriel von Terrain?«
Aeriel nickte.
»Nun, dann musst du das hier nehmen«, sagte der Reiher seufzend. Auf einem Fuß hüpfend, ergriff er den langen, dunklen Stab, der auf der Straße lag, und hüpfte zu Aeriel. »Die Gottgleichen haben mich als Nachrichtenträger ausersehen, nicht als Träger schwerer Objekte. Seit Tagmonaten schon suche ich ganz Westernesse nach dir ab.«
Aeriel lächelte. »Ich war in Isternes.«
Der Reiher legte das Ding auf ihre Knie. Aeriel sog scharf die Luft ein. Jetzt erkannte sie das staubige Ding.
»Mein Wanderstab!«, sagte sie leise. »Den Orroto-to für mich gemacht hat.«
Sie fuhr mit den Fingern über die glatte Oberfläche und erinnerte sich, wie die Anführerin des Wüstenvolkes diesen Stock aus dunklem Treibholz angefertigt hatte. Er besaß genau Aeriels Größe, war sehr dünn und trotzdem unzerbrechlich, mit einer Spitze an dem einen Ende und einem Knauf am anderen. Einmal hatte sie damit einen der Schakale der Weißen Hexe getötet.
Plötzlich legte sie den Stab hin. »Er sollte nicht mehr in meinem Besitz sein. Ich verlor ihn durch meine eigene Nachlässigkeit in der Wüste.«
Der Reiher kratzte sich mit einem Bein am Kopf. »Der Löwe hat mir etwas über diese Stöcke erzählt«, sagte er. »Dass sie als Wurf- und Grabstöcke dienen, als Zeltpflöcke und noch für tausend andere Dinge gut sind. Den Ma’a-mbai, dem Wüstenvolk, sind sie unentbehrlich. Angeblich wohnt diesen Stöcken eine Kraft inne.«
Dann kratzte sich der Reiher die andere Seite des Kopfes.
»Vielleicht hast du deinen gar nicht wirklich verloren, sondern ihn nur für eine Weile beiseitegelegt, weil du momentan keine Verwendung mehr für ihn hattest.«
Aeriel staubte ihren Wanderstab ab. Es fiel ihr schwer, ihn nicht zu betasten. Sie legte ihn quer über ihren Schoß und befühlte das Holz. Orroto-to hatte sie gelehrt, damit umzugehen. Nur eines fehlte, damit er zu einem richtigen Wanderstab wurde.
»Er hat keinen geschnitzten Knauf«, murmelte Aeriel.
Als sie zuerst bei dem Volk der Ma’a-mbai lebte, hatte sie gedacht, die Köpfe ihrer Wanderstäbe seien nichts als formlose Knäufe. Aber später hatte sie in jedem Knauf ein fein geschnitztes Kunstwerk erkannt, wenn auch von vager, seltsamer Gestalt. Aber Orroto-to hatte Aeriel nur einen Stock mit blankem Knauf geschenkt, und als Aeriel sie gefragt hatte, warum, hatte die dunkelhäutige Anführerin ziemlich überrascht reagiert.
»Ich wusste nicht, dass deine grünen Augen es gelernt haben, die Formen unserer Wanderstäbe zu unterscheiden«, hatte sie gesagt. »Darüber reden wir nicht viel, selbst unter uns. Und unsere Kinder dürfen sich erst als erwachsen betrachten, wenn sie die Unterschiede erkennen. Erst dann erhalten auch sie einen geschnitzten Stab.«
»Aber Orroto-to«, hatte Aeriel gesagt, »dann bin ich ja noch ein Kind, da mein Wanderstab kein Gesicht hat. Oder nicht, da du mir einen geschenkt hast und mich lehrtest, ihn zu benutzen? «
Aeriel sah, wie die weise Frau den Blick senkte. Lange sagte sie nichts. Schließlich antwortete sie: »Kleines
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