Gefangene des Engels - Pierce, M: Gefangene des Engels - The Darkangel Trilogy: The Darkangel (1), A Gathering of Gargoyles (2), The Pearl of the Soul of the World (3)
sich schon immer nach einer Tochter gesehnt, einer Erbin …«
»Sie ist nicht unsterblich«, rief Aeriel, angewidert vom Anblick des Vogels: Die Lorelei fertigte die Schwingen der Vampire aus Federn von seinesgleichen. »Müsste sie dem Tode nicht ins Auge blicken, würde sie mich nicht fürchten.«
Der Rhuk lachte. »Tu es für Irrylath«, summte er. »Es wird ihm schlimm ergehen, solltest du meine Herrin zwingen, ihn von dir zu reißen.«
»Nein!«, schrie Aeriel und verlor in dem weichen, tückischen Sand beinahe das Gleichgewicht.
»Unterwirf dich!«, rief der Vogel. »Ravennas Glück hat sich von dir abgewandt. Du kennst nicht einmal die letzte Stanze des Reimes. Meine Herrin wird dich großzügig entschädigen, wenn du dich jetzt ergibst.«
Aeriel spürte, wie der Boden unter ihren Füßen steil anstieg. Der Rhuk hatte sie gegen eine abschüssige Sanddüne gedrängt. Einen Moment wallte Panik in ihr auf, als sie erkannte, dass jeglicher Fluchtweg abgeschnitten war.
»Deine Herrin hat schreckliche Angst vor mir«, erwiderte sie verbissen, während sie sich Erins Worte ins Gedächtnis rief. »Glaubte die Hexe, gegen uns siegen zu können, hätte sie längst ihre Armee geschickt.«
»Meine Herrin hat deine Armee so weit ziehen lassen, weil es ihr ein ergötzlicher Zeitvertreib ist«, antwortete der Rhuk, »Kinder beim Kriegsspiel zu beobachten.« Die silberne Nadel glitzerte in seiner Zehe. »Und weil du ihr den unschätzbaren Dienst erweist, all ihre Feinde an einem Ort zu versammeln.«
Aeriel biss die Zähne zusammen. Ihre Hand krallte sich in den Stoff ihres Gewandes und ballte sich zur Faust. Was erdreistete sich dieses Geschöpf, sie in die Enge zu treiben und Forderungen zu stellen? Was fiel ihm ein, sie zwingen zu wollen, Irrylath und den Krieg zu opfern? Als sie sich von der Düne löste und ungestüm auf den schwarzen Rhuk zuging, flatterte das Tier hastig rückwärts und wirbelte einen feinen, trockenen Sandregen auf. Aeriel beschleunigte ihren Schritt.
»Warum hat deine Herrin einen wie dich zu mir geschickt?«, wollte sie gleichmütig wissen. »Deinesgleichen zu töten ist mir schon früher gelungen.«
»Meine Herrin hat nicht die Absicht, dich zu töten«, zischte der Schwarze Vogel, »denn dann würde die Magie, die in dir eingeschlossen ist, entfleuchen und frei in der Welt herumschweben. Einer ihre Feinde könnte sie aufschnappen, so wie du die Zauberkraft des Sternenpferdes in dir aufgesogen hast. Es ist besser, dich zu bannen.«
Mit einem heiseren Schrei glitt der Schwarze Vogel in die Höhe. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte Aeriel, ihn in die Flucht geschlagen zu haben. Zu spät erkannte sie, dass er auf sie zuflog. Sie spürte seine flatternden Flügel in ihrem Gesicht und schlug verzweifelt auf ihn ein. Erneut schoss er herab und hackte mit dem Schnabel nach ihr, und diesmal, als Aeriel herumschnellte und dem Vogel ausweichen wollte, gab der Sand unter ihren Füßen nach, und sie strauchelte.
Sie schlug hart mit den Rippen auf dem Boden auf. Da spürte sie die Klauen des Schwarzen Vogels an ihrem Rücken. Er musste die Nadel fallen gelassen oder sie wieder im Schnabel haben.
Keuchend, jeder Atemzug ein schmerzhaftes Stechen, zog sie sich auf den Ellbogen und versuchte mit aller Gewalt, den Rhuk zu verscheuchen. Das widerwärtige Geschöpf, das seine Zehen in ihre Schulter bohrte, erfüllte Aeriel mit Abscheu und ließ sie erschaudern.
Da spürte sie einen Stich hinter dem Ohr, scharf wie ein winziges Schwert. Unerträgliche Schmerzen bemächtigen sich ihrer, zu beißend, als dass sie auch nur einen einzigen Schrei hätte ausstoßen können. Aeriel schlug mit beiden Händen wild auf den Vogel ein. Zu ihrem Erstaunen hatte sich das Glühen der Perle, nun nicht länger verborgen, zu einem wahren Leuchtfeuer entzündet. Was hatte dieses gleißende Licht herbeigeführt? Nie zuvor war so etwas geschehen. Im selben Moment gaben die Krallen des Rhuks sie frei, und seine Schwingen strichen steif über ihre Wange.
»Das Licht, das Licht!«, krächzte er.
Benommen bemerkte Aeriel, dass der Rhuk neben ihr auf dem Boden zappelte und sich blindwütig wand, als würde er bei lebendigem Leib verbrennen. Das Licht der Perle wurde bereits schwächer. Eine entsetzliche Kälte umfing Aeriel. Zitternd glitt sie mit der Hand hinter ihr Ohr. Ihre Finger strichen über den kleinen silbernen Hügel, der aus ihrem Knochen ragte. Ein markerschütternder Schauder pulsierte durch ihren Körper.
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