Gefangene des Engels - Pierce, M: Gefangene des Engels - The Darkangel Trilogy: The Darkangel (1), A Gathering of Gargoyles (2), The Pearl of the Soul of the World (3)
schweifen, zu den luftigen Pavillons in Blassgrün, Geisterblau und Malve. An ihrem angespannten Gesichtsausdruck erkannte Aeriel, dass sie ihre Freundin gekränkt hatte.
»Es ist nur …«, begann sie stotternd. »Es ist nur, dass wir uns kaum kennen, Irrylath und ich.«
Erin warf ihr einen Seitenblick zu. »Ich kenne dich viel kürzer als er«, sagte sie leise, »und dennoch liebe ich dich aus ganzem Herzen.«
Aeriels Kehle war wie zugeschnürt. Liebevoll legte sie einen
Arm um das dunkelhäutige Mädchen. Einen Moment ruhte Erins Wange an ihrer Brust. »Ich bin so froh, dass du nach Orm nicht zu deinem Volk zurückgekehrt bist«, flüsterte sie. »Du allein spendest mir Kraft. Du bist meinetwegen nach Isternes gereist, nicht wahr?«
Kopfschüttelnd blickte Erin auf und tätschelte Aeriel die Wange. Ihre Hand war kühl und trocken. »Nein, meine Liebe«, sagte sie. »Um meinetwillen. Nie zuvor konnte ich eine Freundin mein nennen.«
Sie erhob sich.
»Aber ich werde nun gehen«, sagte sie, »da ich spüre, dass du allein sein willst. Ich bin beim Lagerfeuer meines Volkes und versuche, mir ihre – unsere – Sprache einzuprägen.«
Aeriel rang sich ein Lächeln ab und ließ sie ziehen. Obwohl die Weiße Hexe und Irrylath sie verwirrten, durchflutete sie ein Gefühl der Erleichterung, mit Erin gesprochen zu haben. Das dunkelhäutige Mädchen beugte sich zu ihr und küsste sie auf die Braue.
»Verzeih, wenn ich deinen Prinzen von Avaric nun einen großen Narr nenne, da er dich nicht liebt«, sagte Erin sehr sanft. »Und dich einen noch größeren, weil du von ihm geliebt werden willst.«
6
Der Schwarze Vogel
A eriel erhob sich und wanderte ziellos durch die eng beieinanderstehenden Pavillons. Sie begegnete keiner Menschenseele. Alle, die aus weiter Ferne einen Blick auf sie erhaschten, machten einen Bogen um sie: Jeder schien in Ehrfurcht vor ihr zu leben. Sie seufzte und sehnte sich nach einem Menschen, der sie nicht augenblicklich erkannte und vor ihr zurückwich. Sie bereute zutiefst, dass sie Erin hatte ziehen lassen. Als sie gerade in eine schmale Gasse einbog, um einen Weg aus dem Gewirr an Zelten und Vorratspavillons zu finden, drang zufällig ein Gesprächsfetzen an ihr Ohr. Stirnrunzelnd blieb sie stehen, denn sie erblickte niemanden in der Nähe.
Ein großes grünes Zelt aus glänzender Seide blähte sich vor ihr in der schwachen Wüstenbrise auf. Aeriel spürte den kühlen Windhauch an ihrer Wange und den groben Sand, der bei jeder Woge aufwirbelte. Das klatschende Flattern der offenen Zeltklappe unterstrich nur die Stille. Verwundert lauschte sie und spitzte die Ohren, doch für einen langen Moment hörte sie nur das Säuseln des Windes und der Seide. Dann drangen sie wieder zu ihr, die leisen, gedämpften Stimmen – eine davon unverkennbar Irrylaths.
»Wenn du deine Reiter so positionierst, könnten sich die Bogenschützen meiner Mutter hier aufstellen …«
Aeriel erstarrte, sie vernahm das schwache Kratzen von Metall auf Metall. Ein anderer sprach.
»Dann könnten unsere Fußsoldaten hier und hier getrennt aufmarschieren.«
Sabr. Aeriel erkannte sie nun, vergegenwärtigte sich die Banditenkönigin, die wohl einen Dolch zog und die Waffe auf Irrylath richtete. Wieder das Geräusch von kratzendem Metall: Der Dolch wurde zurück in die Scheide gesteckt.
»Du hast mir nie erzählt, was mit der prächtigen Berner Klinge geschah, die ich dir damals zum Geschenk machte.«
Ein neckender Ton hatte sich in Sabrs Stimme geschlichen. Aeriel blinzelte. Die Banditenkönigin war nur selten zu Scherzen aufgelegt. Dann hörte sie das Rascheln von Pergamenten.
»Sie ist zerbrochen«, gab Irrylath knapp zur Antwort.
Ihre Stimmen kamen nicht aus dem Innern des Zeltes, erkannte Aeriel plötzlich und drängte sich näher an den dunklen Pavillon. Seine Rückseite grenzte an eine Sanddüne und ein safrangelbes Zelt, die zusammen einen kleinen Innenhof umfassten.
»Wie war das möglich?«, fragte die Cousine des Prinzen. »Die Klinge war aus Berner Stahl gefertigt.«
Aeriel verharrte ruhig neben dem grünen Pavillon und lauschte gebannt. Kein Ton von Irrylath. Behutsam spähte sie hinter die grüne Seide. Sabr und Irrylath befanden sich in dem jenseitigen Hof. Sie waren alleine, ohne den üblichen Schwarm an Dienstboten und Begleitern. Halb abgewandt von seiner Cousine
beugte sich der Prinz von Avaric über eine Schriftrolle. Sabr spielte mit ihrer eigenen Berner Klinge.
»Ich schenke dir noch eine«,
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