Gefangene des Engels - Pierce, M: Gefangene des Engels - The Darkangel Trilogy: The Darkangel (1), A Gathering of Gargoyles (2), The Pearl of the Soul of the World (3)
Perle Aeriels Sinne schärfte, so dass sie sehen und hören konnte, was zwischen Irrylath und dem Ikarus geschah, wusste sie, dass ihre eigenen schwachen Proteste niemals ihren Gatten erreichen konnten. Offenkundig waren die Worte der Weißen Hexe im Mund des Engels der Nacht die einzigen, die er hörte.
»Du gehörst zu mir, das weißt du. Du bist nicht den ganzen weiten Weg gekommen, um mich zu zerstören, sondern mir Seelen zu übermitteln! Sieh dir deine Gefolgsleute an, die dort unten verstreut sind. Wie klein sie sind! Wie hoch über ihnen du reitest. Sie können dich nicht hindern, dich mir anzuschließen. Komm, mein Liebling! Reich mir die Hand! Mein siebter Sohn wird dich zu mir geleiten.«
Wie ein Schlafwandler senkte Irrylath die Diamantenklinge. Der kleine Engel der Nacht flatterte näher und durchbohrte ihn mit seinen farblosen Augen. Der Prinz brauchte nur die Hand auszustrecken, um ihn zu berühren. Der Atem seiner Schwingen blies Irrylath durchs lange, schwarze Haar. Oriencor seufzte lachend. Sie hatte ihn in ihrer Gewalt.
»Nein!«, schrie Aeriel. »Irrylath …«
Genauso gut konnte sie versuchen, den Wind zu übertönen. Ihre Worte gingen im Kampfgetümmel unter. Entsetzt erinnerte sie sich an ihren Alptraum: Irrylath, der kopfüber ins Leere stürzte. Sie konnte ihn nicht retten. Niemals hätte ich mich erdreisten dürfen, dein Herz zu stehlen , dachte sie grimmig, verbittert. Eher hätte ich dich in Avaric sterben lassen sollen – immerhin war das dein Wunsch –, als dich hierher zur Hexe zu führen, die dich für sich beansprucht! Tränen brannten ihr auf den Wangen, die in der Kälte zu kleinen Eiskristallen gefroren. Aeriel wischte sie abwesend aus dem Gesicht, und sie fielen wie kleine Glasperlen zu Boden.
Am Fenster murmelte Oriencor mit samtweicher Stimme: »Kehr zu mir zurück, mein süßer Sohn. Komm, Liebling. Komm!«
Die Schlacht tief unten war beinahe zum Erliegen gekommen, alle Augen lagen fest auf Irrylath. Der Engel der Nacht schwebte nun in Reichweite und streckte Irrylath die Hand entgegen. Langsam hob er die seine – zögerte –, und dann, in einer blitzschnellen Bewegung, packte er das entmenschte Geschöpf vor ihm am Handgelenk. Mit einem Schrei des Triumphes oder der Höllenqual riss er den wild mit den Flügeln um sich schlagenden Golam der Hexe an sich und rammte ihm die Diamantenklinge in die Brust.
13
Drachen
D urchbohrt bis zu seinem mit Blei überzogenen Herzen fiel der kleine Engel der Nacht mit steifen Schwingen herab, die Federn flatterten wie zerfranste Lumpen im Wind. Aeriel fühlte sich schwindelig, ausgelassen vor Erleichterung. Irrylath war nicht zu Oriencor zurückgekehrt!
Sie lehnte müde gegen den Fensterrahmen und glaubte vor Glückseligkeit zu sterben, als der leblose Körper des siebten Sohnes der Hexe ohne ein Kräuseln des Wassers im stillen schwarzen See versank. Der Avarclon stieß ein lautes, siegreiches Wiehern aus, und ein Schrei hallte von den verbündeten Streitkräften herauf. Irrylath lenkte sein Streitross, um Oriencor ins Auge zu blicken.
»Ich werde nicht zu dir zurückkommen, Hexe«, rief er. »Ich diene nun der Aeriel.«
»Pass auf, mein einstiger Liebling!«, erwiderte sie voll wildem Groll, packte ihre Gefangene und zog sie ins Sichtfeld des Prinzen. »Deine Aeriel ist in meinen Händen.«
Aeriel sah, wie er erschrocken zusammenzuckte.
»Aeriel!«, schrie er. Unter ihm legte sich der Avarclon scharf
in die Kurve, seine mächtigen Schwingen schlugen heftig. Oriencor lachte.
»Du Narr!«, fauchte sie. »Wärst du zu mir zurückgekommen, hätte ich sie dir überlassen. Nun werde ich sie für mich beanspruchen. Sie wird am Ende des Krieges eines sehr langsamen Todes sterben. So wie du.«
Wut fegte über Irrylaths Gesicht. Die Fingerknöchel seiner Hand, die die Diamantenklinge umklammerten, blitzten weiß. »Wage ja nicht, ihr auch nur ein Härchen zu krümmen, Hexe!«, rief er heiser. »Ansonsten jage ich dir diesen Dolch ins Herz!«
Der Avarclon schoss vor, als hätte Irrylath ihm die Sporen gegeben, und erkletterte geschwind die Lüfte. Die Weiße Hexe stand ungerührt da, die Augen fest auf einen Punkt hinter ihnen gerichtet. Ihr Antlitz verriet nicht die geringste Spur von Angst. Sie flüsterte leise, doch ihre Worte waren nicht an Irrylath gerichtet.
»Kümmert euch um ihn.«
Unverzüglich lösten sich die fünf verbliebenen Engel der Nacht von Irrylaths Brüdern und flogen in Windeseile zurück zur Feste ihrer
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