Gefangene des Engels - Pierce, M: Gefangene des Engels - The Darkangel Trilogy: The Darkangel (1), A Gathering of Gargoyles (2), The Pearl of the Soul of the World (3)
den Engeln der Nacht die Stirn boten: Nar, der Älteste, auf der schwarzen Wölfin Bernalon, trotzte dem Ikarus von Bern, während Arat
auf dem Basilisken von Elver gegen seinen persönlichen Engel der Nacht antrat. Lern, Syril und Poratun auf ihren geflügelten Streitrössern tauchten geschickt ab und zogen ihre Kreise, jeder auf der Jagd nach seinem fliegenden Widersacher.
Unter ihnen kämpfte Aeriels Bruder Roschka Seite an Seite mit Hadin, dem jüngsten der Isterner Prinzen. Zwei blonde Cousins, die einander glichen wie ein Ei dem anderen: grimmig und ernst, ohne jede Angst. Auf dem Rücken des Stieres von Pirs schwang der Königssohn entschlossen sein wuchtiges Falchion gegen den geflügelten Sohn der Hexe. Daneben, auf dem schwarzen Ross Nachtwanderer, gab ihm Roschka Deckung.
Bestürzt bangte Aeriel um die beiden, glaubte sie schutzlos und verwundbar, bis sie erkannte, dass die flügellosen Streitrösser geradezu von Vorteil waren. Während sich seine Isterner Brüder in den Himmel schraubten, scharf ausscherten und gefährliche Manöver vollzogen, wobei ihnen nur selten ein Treffer gelang, zwang der erdgebundene Hadin seinen Ikarus immer wieder auf den Boden, lockte ihn in Reichweite seiner und Roschkas Waffen. Ohne Vorwarnung bohrte sich ein Pfeil aus purem Gold in die Seite des Engels der Nacht. Aeriel erhaschte einen Blick auf Königin Syllva, die ihren Bogen senkte.
Einer der Pfeile von Talb, dem Magier, eingetaucht in das Silber der Alten, vermutete Aeriel, obschon die Pfeilspitze bereits tief in dem unblutenden Fleisch des Vampirs vergraben war. Das blutleere Geschöpf zuckte kreischend. Roschka spießte es mit seiner Pike auf und zog es näher. Hadin rammte sein Falchion bis zum Heft in die Brust des Ikarus’ und brachte jäh seine Schreie zum Verstummen. Als der Engel der Nacht wie ein Stein
zu Boden sank, brach ohrenbetäubender Jubel bei den Streitkräften des Ostens und Westens aus: ihr erster großer Sieg des Tages. Ein unbeschreibliches Hochgefühl erfüllte Aeriel. Neben ihr fletschte Oriencor die Zähne und fauchte verärgert.
»Genug!«, knurrte sie. »Genug der Spielereien. Es ist an der Zeit, den Krieg wahrhaft beginnen zu lassen.«
Die elfenbeinfarbenen Klauen der Hexe bohrten sich tief in Aeriels Schulter. Eine Eiseskälte, so klirrend, wie noch nie zuvor erlebt, schoss durch sie hindurch. Die Perle verdunkelte sich, kämpfte gegen die Kälte der Lorelei. Aeriel wand sich keuchend, als Oriencor sie vom Fenster zerrte.
»Sag, kleine Zauberin«, flüsterte sie mit wilder, rauer Stimme, und drückte sie an die Wand des Turmgemachs. »Wie viele Söhne habe ich?«
»Keine«, spie ihr Aeriel entgegen. »Du bist unfruchtbar.« Der Griff der Hexe wurde fester. Ihre Lippen verzogen sich. »Das ist wahr«, sagte sie. »Doch es gibt jene, die sich selbst als meine Söhne bezeichnen würden, wären sie des Sprechens mächtig. Wie viele Ikari besitze ich?«
»Sechs«, röchelte Aeriel. »Falls man denjenigen mitrechnen will, den Hadin tötete.« Die Kälte verschlang sie. Ihre Schulter war bereits taub. »Du hattest sieben«, erklärte sie trotzig, »aber Irrylath hat sich für immer von dir abgewandt.«
»Wir werden sehen«, murmelte Oriencor. »Hörte ich dich eben sagen, ich hätte lediglich sechs Engel der Nacht? Du irrst. Ich besitze sieben.«
»Nein!«, schrie Aeriel. »Irrylath gehört mir …«
Die Weiße Hexe schüttelte den Kopf, lächelte nun. »Ich spiele
nicht auf Irrylath an. Du hast meine anderen sechs auf dem Schlachtfeld gesehen, jeder kämpft gegen einen Bruder deines Gemahls. Doch meines neuesten Ikarus bist du noch nicht ansichtig geworden, desjenigen, den ich nach Irrylath gezüchtet habe, vor gerade einmal zwölf Tagmonaten.«
Aeriel starrte sie verwirrt an. Wovon sprach sie? Ein neuer Engel der Nacht? Ein siebter Sohn?
»Du hattest nicht genügend Zeit …«, stotterte sie. Vor Kälte klapperten ihr die Zähne, ihr Kiefer schmerzte. Sie wand sich im Griff der anderen. Selbst Ravennas Perle, erkannte Aeriel, konnte sie nicht viel länger vor dieser tödlichen Eiseskälte schützen. Die Weiße Hexe schüttelte sie leicht.
»Wie naiv du bist!«
Verzweifelt durchkämmte Aeriel ihr Gedächtnis. Sie wusste, die Lorelei stahl Säuglinge und Kleinkinder, die sie zu jungen Männern aufwachsen ließ, bevor sie ihr Blut trank und ihre Herzen mit Blei überzog, ihnen ein Dutzend nachtschwarzer Schwingen auf den Rücken nähte und sie zum Plündern hinaus in die Welt entließ.
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