Gefangene des Engels - Pierce, M: Gefangene des Engels - The Darkangel Trilogy: The Darkangel (1), A Gathering of Gargoyles (2), The Pearl of the Soul of the World (3)
hoch.
Keuchend und zitternd lehnte sie an der Wand. Durch das Fenster beobachtete Aeriel Oriencors siebten Sohn durch die Lüfte auf Irrylath zuschießen, der etwas zu Königin Syllva zwischen den Bogenschützinnen von Isternes hinabrief. Eine von ihnen blickte auf, packte ihre Herrin am Arm und deutete schaudernd zum Himmel. Syllva drehte den Kopf, dann Irrylath. Schweißüberströmt und mit ernstem Blick wirkte der Prinz erschöpft, jedoch nicht erschrocken. Ihm war noch nicht bewusst, wer dieser Ikarus war.
Er deutete mit der Diamantenklinge auf etwas und flüsterte dem Avarclon etwas zu. Doch als das ungezäumte Sternenpferd herumwirbelte und höher in die Lüfte kletterte, fuhr sein Reiter plötzlich zusammen. Aeriel sah, wie sich erst Verwirrung, dann offenes Entsetzen auf sein Gesicht legte. Das geflügelte Streitross
drosselte keine Sekunde seinen pfeilschnellen Aufstieg, während sich Irrylath fieberhaft umblickte und die Engel der Nacht zählte. Der kleine Ikarus verharrte am Himmel. Erstaunt drehte sich der Prinz im Sattel, um dem neuen »Sohn« der Hexe entgegenzutreten.
Anfangs tauchte der Vampir tief herab und bedrängte den Avarclon. Mit einem wütenden Schrei stürzte sich das Sternenpferd auf den kindlichen Ikarus, doch dieser duckte sich flink. Irrylath lehnte sich im Sattel vor, aber der Engel der Nacht schwenkte ab, schnellte kreisförmig empor und setzte dem Reittier des Prinzen zu. Erneut schoss der Avarclon hinab, traf jedoch wiederum nur leere Luft. Das Sternenpferd schüttelte sein Haupt, scharrte mit der Pranke und brüllte zornig. Mit grimmiger Miene ließ Irrylath waghalsig sein Schwert durch die Luft sausen, stieß immer wieder zu, pfeilschnell, doch jedes Mal wich der kleine Ikarus geschickt aus, schlug wild mit seinem Dutzend dunkler Schwingen um sich, wobei er einen wahren Sturm entfachte. Er schien nicht den Wunsch zu hegen, Irrylath in einen ernsthaften Kampf zu verwickeln, sondern spielte vielmehr mit ihm.
Schwach vor Kälte erschauderte Aeriel. Vor ihr am Fenster stand Oriencor und lachte. Auf einmal bemerkte sie, dass die verbündeten Streitkräfte am Boden ohne Irrylath, der sie aus der Luft befehligte, zu zaudern begannen. Das Lächeln der Hexe wurde breiter. Wie gebannt starrte Aeriel auf die wunderschönen weißen Lippen, die sich bewegten, ohne dass ihnen ein Ton entlockt wurde. Stattdessen war es der Engel der Nacht, der sprach. Die geschärfte Wahrnehmung der Perle trug die Worte selbst aus dieser Entfernung zu Aeriel: der kleine Ikarus, der die Bitte seiner
Herrin in einem hohen, heuschreckenähnlichen Singsang vortrug.
»Komm zu mir zurück«, sagte das geflügelte Hexenkind. »Auch wenn ich mit der Stimme eines anderen spreche, sei versichert, ich bin es, Oriencor.«
Irrylath fuhr zusammen und starrte den kleinen Engel der Nacht erschrocken an. Ein erstickter Schrei entschlüpfte seinen Lippen.
»Einst liebtest du mich«, summte Oriencors Bote. »Liebst du mich denn nicht mehr, mich, die dich aufzog, nachdem deine eigene Mutter dich im Stich ließ? Diejenige, die dir Flügel verlieh? Ich werde dir wieder Flügel anfertigen – wunderbare Flügel! – , wenn du nur zu mir zurückkehrst.«
Taumelnd bahnte sich Aeriel einen Weg zum Fenster. Selbstvergessen und leise flüsternd, drehte sich Oriencor kein einziges Mal um.
»Dies ist derjenige, den ich erschuf, damit er deinen Platz zwischen meinen Engeln der Nacht einnimmt«, hauchte sie, und der kleine Ikarus wiederholte ihre Worte. »Denn du hast dich um eine weit würdigere Position verdient gemacht. Sei mein Gefährte! Komm zurück, und sitz neben mir auf dem Thron so weiß wie Salz. Herrsche mit mir über die Welt.«
»Nein«, flüsterte Aeriel, immer noch geschwächt, atemlos. »Gemahl, nein!«
Wie hypnotisiert starrte Irrylath das seelenlose Geschöpf vor ihm an. Das Vampirkind schwirrte näher, immer noch außer Reichweite. Avarclon drosch mit den Füßen in die Luft, schnaubte wutentbrannt, konnte nicht angreifen. Die Fingernägel
der Weißen Hexe kratzten über das glatte, tropfende Fensterbrett.
»Komm zurück«, raunte sie. Der Ikarus wiederholte ihre Worte. »Du liebst mich noch immer. Gesteh es ein! Du liebst mich noch immer.«
Irrylath schauderte, atmete schwer.
Aeriel klammerte sich verzweifelt an das kalte, nasse Fensterbrett. »Schenk ihr kein Gehör!«, keuchte sie.
Doch seine Augen waren fest auf den Engel der Nacht gerichtet, der vor ihm schwebte und seinen Blick ausfüllte. Obschon die
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