Gefangene des Feuers
wir verheiratet sind.“
„Ach wirklich? In letzter Zeit scheine ich dir doch nur eine Last zu sein.“
„Du bist meine Frau, und du bist schwanger. Du bist keine Last.“
„Ich hatte viel zu viel Angst, um überhaupt an das Baby zu denken“, gestand sie. „Es hängt so viel von dem ab, was in den nächsten Tagen passiert. Was ist, wenn dir etwas passiert? Oder wenn die Papiere verschwunden sind?“
„Mir wird nichts geschehen. Sie haben es in den letzten vier Jahren nicht geschafft, mich zu schnappen, also schaffen sie es jetzt auch nicht. Und sollten die Dokumente verschwunden sein ... Nun, ich weiß nicht, was wir dann Atwater sagen sollen. Ich weiß nicht einmal, was wir tun sollen, wenn sie noch da sind! Vielleicht schreckt Atwater ja doch davor zurück, jemanden unter Druck zu setzen.“
„Aber ich nicht“, erwiderte sie, und Rafe hörte an ihrem Ton, wie entschlossen sie war.
Er ließ seinen Pistolengurt im Hotel, hatte seine Ersatzpistole jedoch hinten in seinen Gürtel gesteckt. Atwater war mit einem Mantel für ihn aufgetaucht, der mehr der hiesigen Mode entsprach, dazu hatte er einen passenden Hut mitgebracht. Annie puderte sein Haar und den Bart. Mit seinem neuen Aussehen zufrieden, das nicht mehr viel Ähnlichkeit mit dem alten Rafe hatte, ging er die sieben Blocks zu der Bank, wo er die Dokumente hinterlegt hatte. Auch wenn es unwahrscheinlich war, dass jemand ihn erkannte, sah er sich misstrauisch jeden an, der ihm über den Weg lief. Doch niemand schien großes Interesse an dem großen grauhaarigen Mann zu haben, der sich mit der Anmut eines Panthers bewegte.
Es war eher unwahrscheinlich, dass Vanderbilts Männer überhaupt eine Ahnung hatten, wo die Papiere sich befanden. Denn wäre ruchbar geworden, dass die Dokumente in New Orleans lagerten, hätte Vanderbilt eine ganze Armee ausgeschickt, um die Stadt abzusuchen - einschließlich der Banktresore, denn nicht einmal die waren vor seinem Einfluss sicher. Wären die Dokumente gefunden worden, hätte man Rafe auch nicht mit einer solchen Eindringlichkeit gejagt. Schließlich hätte er ohne diese Papiere keinerlei Beweis in der Hand. Wer würde seinem Wort allein schon glauben? Vanderbilt schien sich gewiss keine Sorgen wegen Davis’ Geständnis zu machen. Der frühere Präsident der Konföderierten hatte außerhalb der Südstaaten kein Gewicht. Nein, Vanderbilt hatte von Davis nicht das Geringste zu befürchten.
Das Einfachste wäre, Vanderbilt die Dokumente zu überlassen. Im Austausch müsste er dann die Anklage wegen Mord fallen lassen. Doch Rafe gefiel der Gedanke nicht. Er wollte nicht, dass der reiche Bankier ungeschoren davonkam. Er sollte zahlen für das, was er getan hatte - genauso wie Jefferson Davis. Auch er sollte für seinen Verrat bezahlen. Doch Rafe machte eine Sache an dieser Idee zu schaffen: Hunderttausende Menschen überall im Süden hatten trotz des Verrats überlebt, weil sie sich ihren Stolz nicht hatten nehmen lassen. Er kannte seine Landsleute aus dem Süden. Und er wusste auch, dass die Neuigkeiten über Davis’ Verrat sie schwer in ihrem Stolz erschüttern würden. Nicht nur Davis würde dann leiden, sondern jeder Mann, der im Krieg gekämpft hatte, jede Familie, die einen geliebten Menschen verloren hatte. Die Menschen aus den Nordstaaten hätten zwar ihre Rache, denn Vanderbilt würde wegen Landesverrats verurteilt und vermutlich erschossen werden. Die Menschen aus den Südstaaten aber würden mit leeren Händen dastehen.
Als er bei der Bank ankam, nahm er den Tresorschlüssel aus seiner Tasche und drehte ihn in seiner Hand hin und her. Seit vier Jahren hatte er den Schlüssel bei sich, versteckt in einem seiner Stiefel. Und er hoffte, er müsste ihn nie Wiedersehen.
Er hatte den Schlüssel, und er hatte die Ziffernkombination. Es gab keinerlei Schwierigkeiten, das Päckchen wieder an sich zu nehmen. Rafe steckte es einfach in seinen Mantel, ohne es aus dem Öltuch zu wickeln. Und dann ging er schnurstracks zurück zum Hotel.
Als er an Atwaters Tür vorbeikam, klopfte er dort an. Die Tür wurde sofort geöffnet, und der Marshal begleitete ihn zu Rafes und Annies Zimmer. Annie stand reglos am Bett, ihr Gesicht aschfahl. Als sie Rafe sah, flog sie in seine Arme. „Gab es Probleme?“, fragte Atwater.
„Keine.“ Rafe nahm das Päckchen, das er in den Mantel gesteckt hatte, und überreichte es dem Marshal.
Atwater setzte sich aufs Bett und wickelte die Dokumente langsam aus dem Öltuch. Ein dicker
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