Gefangene des Feuers
Stoß Papiere kam zum Vorschein, und es dauerte eine Weile, bis er sie durchgesehen hatte. Rafe wartete schweigend, während er Annie in den Armen hielt. Die meisten Papiere legte Atwater zur Seite, doch einige behielt er, um sie sich noch einmal anzusehen. Als er fertig war, sah er Rafe an und stieß einen lang gezogenen Pfiff aus. „Ich frage mich, warum die Prämie auf Ihren Kopf nicht noch zehnmal höher ist, Junge! Sie müssten eigentlich der meistgesuchte Mann der Welt sein. Mit diesen Papieren können Sie ein ganzes Imperium zerstören.“
Rafes Lächeln tropfte vor Zynismus. „Wäre die Kopfgeldprämie noch höher gewesen, hätte das manche Leute vielleicht zu neugierig gemacht. Jemand hätte Fragen stellen können. Die gleichen Fragen wie Sie, Atwater. Man hätte vielleicht wissen wollen, warum Tench so ein bedeutender Mann war, obwohl noch nie jemand von ihm gehört hat.“
„Und die Antwort würde lauten, dass er eben nicht bedeutend war, sondern einfach nur ein netter junger Kerl. Klar, das hätte mich sicher neugierig gemacht.“ Erneut sah Atwater auf die Papiere. „Dieser Hurensohn hat sein Land verraten und ist dadurch dafür verantwortlich, dass Tausende von
Menschen auf beiden Seiten sterben mussten. Ihn aufzuhängen wäre viel zu human für ihn.“ Zum ersten Mal bat er Annie nicht um Verzeihung für seine rüde Ausdrucksweise. „Und was machen wir jetzt?“, fragte Annie.
Atwater kratzte sich am Kopf. „Weiß ich im Moment noch nicht. Ich bin Gesetzeshüter, kein Politiker. Und mein Bauch sagt mir, dass wir für diese Sache einen Politiker brauchen, hol der Teufel ihre aalglatten Seelen. Verzeihung, Ma’am! Aber ich kenne niemanden persönlich, der genug Macht hat, um die Sache zu bewerkstelligen. Soweit wir wissen, könnten auch einige der Hurensöhne in Washington, Verzeihung Ma’am, von Vanderbilt Geld bekommen haben, aus seinen Extraeinnahmen. Jedenfalls wird Vanderbilt seine Mordanklage kaum fallen lassen, wenn diese Dokumente vorher in Umlauf gebracht werden. Wahrscheinlich macht es ihm noch Vergnügen, Sie neben ihm hängen zu sehen, McCay. Also muss zuerst die Anklage aufgehoben werden.“
„Aber in Bezug auf Rafes Schuld oder Unschuld würden diese Papiere doch einen entscheidenden Ausschlag geben, oder nicht?“, fragte Annie verzweifelt. „Sie haben uns doch auch geglaubt. Warum sollte das Gericht es nicht tun?“
„Dazu kann ich nichts sagen. Soweit ich weiß, ist das hier ein reiner Indizienfall. Er wurde dabei gesehen, wie er Tilghmans Zimmer verließ. Kurz danach wurde Tilghman tot aufgefunden. Manche werden glauben, dass McCay ihn getötet hat, um selbst an diese Papiere und das Geld zu kommen, vielleicht sogar um sie als Druckmittel zu verwenden. Ein cleverer Anwalt kann die Dinge so drehen, dass man hinterher nicht mehr weiß, wer man eigentlich ist.“
Annie hatte das noch nicht bedacht. Nein, ein Gerichtsverfahren wäre viel zu riskant für Rafe.
Atwater dachte immer noch nach. „Ich kenne keinen Politiker persönlich“, wiederholte er. „Hab nie Wert drauf gelegt.“ Annie nahm ein paar der Papiere auf und begann zu lesen. Der Gedanke, dass sie förmlich Geschichte in der Hand hielt, machte sie unruhig. Und während sie die Dokumente durchsah, formte sich ein Bild in ihr von dem Mann, der sie geschrieben hatte. Jefferson Davis wurde in den Dokumenten der Nordstaaten-Politiker als verachtenswerte Person dargestellt. Sein Leben vor Ausbruch des Krieges wurde jedoch anders bewertet. Er hatte die Militärakademie in West Point absolviert, war Senator gewesen und Kriegsminister. Ihm wurde ein fein geschliffener Intellekt und absolute Integrität bescheinigt, obwohl diese Dokumente etwas ganz anderes besagten.
„Und wo ist Mr Davis jetzt?“, fragte sie, ohne sich dessen bewusst zu sein. Die Frage war ihr einfach herausgeplatzt.
Rafes Blick wirkte ausdruckslos. Zuletzt hatte er von dem Exkonföderierten-Präsidenten gehört, dass er aus dem Gefängnis entlassen worden sei und zwischenzeitlich in Europa gewesen war.
Atwater schürzte die Lippen. „Lassen Sie mich mal überlegen. Ich meine, gehört zu haben, dass er sich jetzt in Memphis niedergelassen hat und ein Versicherungsunternehmen oder Ähnliches betreibt.“
Annie sah wieder zu Rafe. „Du kennst Mr Davis“, sagte sie. „Und er ist Politiker.“
„Von der Verliererseite“, erklärte er ironisch.
„Vor dem Krieg war er Senator und saß im Kabinett. Er kennt viele Leute.“
„Aber warum
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