Gefangene des Feuers
war sich seines fast nackten Körpers viel zu sehr bewusst. Und vor allem ihrer eigenen Nacktheit. Normalerweise schlief sie immer eingehüllt in weite, lange Nachthemden, die wärmend und schützend ihre Beine umhüllten.
„Nur damit Sie es wissen“, sagte er leise, immer noch so nahe bei ihr, dass seine Lippen ihr Haar berührten. „Die Pistole liegt in meiner rechten Hand. Versuchen Sie nicht, sie mir wegzunehmen, sonst könnte ich Sie töten, ehe ich wach genug bin, um zu wissen, wer Sie sind. Und das Gewehr ist übrigens nicht geladen. Ich habe die Patronen herausgenommen, als Sie sich um die Pferde gekümmert haben.“ Das war zwar eine Lüge, weil er nie unbewaffnet bleiben würde, aber das konnte sie ja nicht wissen. Armes, kleines Ding! Sie wusste kaum etwas darüber, wie man außerhalb einer Stadt überleben konnte, nicht einmal in einer Stadt. Als er sich in ihrem Häuschen umgesehen hatte, war ihm aufgefallen, dass es dort nicht eine einzige Waffe gab, von ihren Skalpellen mal abgesehen. Silver Mesa war eine Stadt voller übler Gesellen, die es nach schnellem Geld und Whiskey hungerte. Und dennoch verfügte sie nicht einmal über eine Grundausstattung, um sich zu verteidigen. Es grenzte schon an ein Wunder, dass sie nicht gleich in ihrer ersten Woche überwältigt und vergewaltigt worden war.
Sie fühlte sich so angenehm und weich in seinen Armen an! Automatisch zog er sie näher an sich und schob seine Füße, an denen noch seine Socken steckten, unter ihre nackten Füße, um ihr etwas von seiner Wärme abzugeben. Sie versuchte, reglos dazuliegen, vermutlich, um ihn nicht noch mehr aufzuwühlen. Als Ärztin wusste sie sicher, was sich da gegen ihre runden Pobacken drückte. Doch sie vermochte die leichten Zuckungen nicht zu unterdrücken, die sie erschauern ließen und sicherlich nicht von der Kälte rührten. Denn gerade jetzt war es ihnen beiden ziemlich warm. Vielmehr hatte sie immer noch entsetzliche Angst. Und er wusste nicht, wie er sie beruhigen könnte.
Da er glaubte, dass er nicht mehr viel länger wach bleiben konnte, wollte er sie dazu bringen, vor ihm einzuschlafen. Sie musste doch genauso müde sein wie er. Wenn er sie doch nur von dieser für sie peinlichen Situation ablenken könnte, würde ihr Körper sich sein Recht nehmen und sie würde endlich einschlafen.
„Wo kommen Sie ursprünglich her?“, murmelte er, darauf bedacht, leise und ruhig zu klingen. Denn fast jeder, der hier im Westen lebte, war nicht hier geboren.
Erneut durchlief sie ein Schauer, aber sie antwortete trotzdem. „Aus Philadelphia.“
„Ich war noch nie in Philadelphia. New York und Boston schon, aber Philadelphia - nein. Wie lange sind Sie denn schon hier draußen?“
„Ich ... ich bin seit acht Monaten in Silver Mesa.“
„Und davor?“
„Davor war ich ein Jahr in Denver.“
„Und warum, in aller Welt, haben Sie Denver für Silver Mesa verlassen? Denver ist doch zumindest eine anständige Stadt.“
„Aber eine Stadt, die nicht noch mehr Ärzte braucht“, erwiderte sie, „im Gegensatz zu Silver Mesa.“ Mehr wollte sie eigentlich nicht verraten, weil das Verhalten der Menschen sie tiefer verletzt hatte, als sie es für möglich gehalten hätte.
Gut. Ihre Stimme klang nun ruhiger. Rafe unterdrückte ein Gähnen. Sanft strich er ihr die Haare hinter das Ohr, kroch näher zu ihr und zog ihr die Decke schützend über die Schulter. „Fragt sich nur, wie lange Silver Mesa sich halten kann“, sagte er, seine Stimme bewusst zu einem leisen Flüstern gesenkt. „Städte wie Silver Mesa sterben genauso schnell, wie sie aus dem Boden sprießen. Wenn die Silberminen leer sind, werden die Minenarbeiter ihre Zelte abbrechen und weiterziehen, so wie alle anderen auch.“
Es war ein bedrückender Gedanke für sie, wieder von vorne anfangen zu müssen, obwohl es ihrem Dasein in Silver Mesa an Luxus und selbst den einfachsten Annehmlichkeiten fehlte. Aber zumindest konnte sie dort das tun, was ihr am wichtigsten war: ihren Beruf als Ärztin ausüben. Manchmal war sie jedoch so frustriert, dass sie am liebsten laut aufgeschrien hätte. Sie verfügte über so viel Wissen und könnte sehr viel tun, würden die Menschen nur rechtzeitig zu ihr kommen. Und oft genug kamen sie überhaupt nicht, nur weil sie eine Frau war, und mussten deshalb sterben.
Wie es weitergehen sollte, dieser Frage würde sie sich stellen, wenn es so weit war. Dabei war nicht einmal sicher, ob sie
Silver Mesa je Wiedersehen würde!
Weitere Kostenlose Bücher