Gefangene des Ruhms - Spindler, E: Gefangene des Ruhms
hatte sie es noch nicht über sich gebracht. Wegen Jack. Weil sowohl Marty als auch Sallie Recht behalten hatten.
Vielleicht sind manche Menschen ja dazu bestimmt, ihr ganzes Leben lang einsam zu sein.
Rasch schob sie diesen Gedanken beiseite. Weil er ihr nicht gefiel. Und weil sie insgeheim befürchtete, dass etwas dran sein könnte. Sie wandte sich vom Fenster ab und ging zum Küchentisch hinüber. Heute war die neue Vogue gekommen. Sie lag aufgeschlagen auf dem Tisch. Becky Lynns Blick fiel auf die Anzeige, die Garnet McCalls Frühjahrskollektion ankündigte.
Jacks erste Anzeige in der Vogue. Kein Zweifel, dass er und Garnet dies als Anlass nehmen würden zu feiern.
Sie schluckte schwer, klappte die Zeitschrift zu und kehrte ans Fenster zurück. Mittlerweile war es dunkel geworden, und durch die Fenster der benachbarten Bungalows fiel warmes Licht. So sehr wie heute Abend hatte sie sich schon lange nicht mehr nach Gesellschaft gesehnt. Sie umklammerte den Rand des Spülbeckens so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten.
Carlo war nicht nach Hause gekommen und hatte auch nicht angerufen, um ihr zu sagen, dass er später käme. Nicht dass sie das erwartet hätte oder dass sie etwa der Meinung gewesen wäre, er sei ihr das schuldig. Sie waren nur Geschäftspartner. Außerdem war heute Valentinstag. Angesichts der erstaunlichen Anzahl von Frauen, die in seinem Haus ein und aus gingen, würde er sicher alle Hände voll zu tun haben.
Bei dem Gedanken an die Frauen, die er ständig mit nach Hause brachte, wurde ihr plötzlich ganz heiß. Jedes Mal, wenn er mit einer neuen Eroberung zur Tür hereinkam, würde sie am liebsten in den Boden versinken, so peinlich war ihr ihre Anwesenheit. Und sie sah den Frauen an, dass ihnen die Situation auch nicht besonders angenehm war. Sie sollte sich eine eigene Wohnung suchen. Dieser Zustand war einfach nicht länger haltbar.
In Gedanken versunken, verflocht sie ihre Finger ineinander. Einerseits wollte sie weg von hier, andererseits hatte sie auch große Angst vor dem Alleinsein. Sie erinnerte sich an ihre ersten Wochen in Los Angeles und an die Einsamkeit, die ihr damals oft schwer zu schaffen gemacht hatte. Sie war sich nicht sicher, ob sie eine solche Situation noch ein zweites Mal durchstehen würde.
Und wenn sie jetzt auszöge, würde sie wieder genauso allein dastehen wie damals.
Außerdem wurde sie das Gefühl nicht los, dass Carlo an ihrem Auszug gar nicht interessiert war. Im Gegenteil. Auch wenn er durch seinen Beruf Gott und die Welt kannte und ein hektisches Leben führte, vermutete sie, dass er ebenso einsam war wie sie selbst. Sie glaubte zu wissen, dass es in seinem Leben niemanden gab, der ihm nahe stand und dem er sein Herz ausschütten konnte, wenn ihm danach zumute war.
Nicht einmal seinem Vater. Ganz besonders nicht seinem Vater.
Mit gerunzelter Stirn ließ sie die Frauen, die, seit sie hier wohnte, die Schwelle von Carlos Bungalow überschritten hatten, vor ihrem geistigen Auge Revue passieren. Es waren fast immer Models gewesen, und keine von ihnen war öfter als einmal – wenn es hoch kam zweimal – hier gewesen. Carlos Jagd nach Frauen haftete etwas regelrecht Manisches, fast schon Verzweifeltes an. Und trotz all seiner an den Tag gelegten Männlichkeit wurde sie den Verdacht nicht los, dass er sich im Grunde genommen aus Sex – zumindest aus dieser Art von Sex – gar nichts machte.
In gewisser Weise erkannte sie sich in ihm wieder. Er schien sich in Gegenwart des anderen Geschlechts ebenso unbehaglich zu fühlen wie sie selbst. Fast erschien es ihr, als hätte er Angst vor Frauen. Sie schüttelte den Kopf. Nein, dieser Gedanke grenzte an Lächerlichkeit – der Mann schleppte fast jede Nacht eine andere Frau mit nach Hause.
„So ernst, bella? Und dabei ist es eine doch eine so schöne Nacht.“
Erschrocken fuhr sie sich mit der Hand an den Hals und wirbelte herum. „Carlo! Ich hab dich gar nicht kommen gehört.“
Er lächelte. „Das war auch meine Absicht. Weil ich dich über raschen wollte.“
„Warum das denn?“ Erstaunt musterte sie ihn. Wie er so dastand, die Hände auf dem Rücken und mit einem Gesichtsausdruck, der zwischen Verschmitztheit und Schuldbewusstsein schwankte, erinnerte er sie an einen kleinen Jungen, der eben mit dem Finger im Marmeladenglas ertappt worden war. Misstrauisch beäugte sie ihn. „Was führst du im Schilde?“
Er brachte hinter seinem Rücken einen großen Strauß Frühlingsblumen zum Vorschein
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