Gefangene des Ruhms - Spindler, E: Gefangene des Ruhms
begann mit kräftigen Strichen ihr langes rotes Haar zu bürsten. Es war ein Ritual, das Becky Lynn von Kindesbeinen auf kannte. Und es war die einzige Gelegenheit, bei der sich Mutter und Tochter in vertraulichen Gesprächen zumindest andeutungsweise näher kamen.
„Was für schönes Haar du hast“, sagte ihre Mutter bewundernd. „Du hast es von deinem Großvater Perkins geerbt. Es ist wirklich traurig, dass er gleich nach deiner Geburt gestorben ist, so dass du keine Gelegenheit mehr hattest, ihn kennen zu lernen.“
Dann ist er wohl ungefähr zu der Zeit gestorben, als Daddy die Farm verloren hat, dachte Becky Lynn. Wegen seiner Trinkerei. Und seiner Faulheit. Doch sie sagte nichts. „Wie war er denn so?“ erkundigte sie sich stattdessen, obwohl sie es natürlich längst wusste. Ihre Mutter sprach oft von Granddaddy Perkins, dessen einzige Tochter sie gewesen war. Er hatte sie angebetet. Und Randall Lee hatte ihn verabscheut.
Sie spürte, dass ihre Mutter lächelte. „Er war ein schöner Mann, ein guter Ehemann und ein wundervoller Vater.“ Jetzt lachte Glenna Lee leise. Ein Lachen, das jung klang und so, als wäre sie in Gedanken weit weg. „Er nannte mich immer seine kleine Prinzessin.“
Becky Lynn hatte plötzlich einen Kloß im Hals. Wie nur war ihre Mutter dann an einen so brutalen, grausamen Mann wie Randall Lee geraten? Warum hatte sie ihn geheiratet?
Und warum ließ sie es zu, dass er ihre Tochter so schlecht behandelte?
Becky Lynn hätte gern gefragt, die Worte lagen ihr schon auf der Zunge, doch sie schluckte sie hinunter. Sie wollte ihrer Mutter nicht wehtun, sie hatte es ohnehin schwer genug. „Das klingt nett, Mama.“
„Mmmm. Er war auch sehr nett.“ Ihre Mutter fuhr fort, ihr Haar zu bürsten, und Becky Lynn wusste, dass sie mit den Gedanken weit weg war.
„Habe ich dir schon vom dem Kleid erzählt, das ich auf meinem Abschlussball anhatte? Es war weiß und mit kleinen pinkfarbenen Blüten bestickt. Das schönste Pink, das du dir vorstellen kannst. In dem Kleid hab ich mich gefühlt wie eine Prinzessin.“ Sie lachte weich. „Und mein Tanzpartner sah aus wie ein Prinz.“
Als Becky Lynn sich ihre Mutter als erwartungsvolles junges Mädchen in dem weißen Ballkleid vorstellte, füllten sich ihre Augen mit Tränen. „Wer war denn dein Tanzpartner, Mama?“
Ihre Mutter zögerte einen Moment, dann schüttelte sie den Kopf. „Niemand, Baby. Ich habe den Namen vergessen.“
Becky Lynn hatte Glenna diese Frage schon früher gestellt, und auch damals keine Antwort erhalten. Doch sie war überzeugt davon, dass ihre Mutter keineswegs vergessen hatte, wer ihr Tanzpartner gewesen war. Es musste einen Grund dafür geben, dass ihre Mutter sich scheute, seinen Namen zu nennen.
Becky Lynn umklammerte ihre Knie. Obwohl ihr Vater nicht zu Hause war, hatte ihre Mutter Angst. „Aber ich dachte, zu der Zeit wärst du schon mit Daddy zusammen gewesen.“
Glenna Lee hielt einen Augenblick mit dem Bürsten inne. Gleich darauf setzte sie ihre Tätigkeit fort. „Nachdem dein Granddaddy Lee einen Herzanfall hatte, war dein Vater gezwungen, von der Schule abzugehen, weil sich jemand um die Farm kümmern musste. Er hat an dem Abschlussball nicht teilgenommen.“
Und er hat dir nie verziehen, dass du im Gegensatz zu ihm daran teilgenommen hast, stimmt’s? Becky Lynn zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen. Was mochte er ihr wohl sonst noch alles nicht verziehen haben? „Aber wo hast du ihn denn kennen gelernt? Den Jungen, mit dem du auf dem Ball warst, meine ich.“
Glenna zögerte wieder. „Er war auf der High School drüben in Greenwood“, erwiderte sie schließlich fast flüsternd. „Unsere Väter kannten sich. Mein Daddy hat das Treffen arrangiert.“
„Granddaddy Perkins mochte Daddy wohl nicht so sehr?“
Ihre Mutter zog die Bürste so heftig aus ihrem Haar, dass es ziepte. „Nein, nicht besonders.“
„Und dennoch hast du ihn geheiratet.“ Becky Lynn hörte den anklagenden Unterton aus ihrer Stimme heraus, aber es war ihr egal. Diesmal wollte sie sich nicht verstellen. „Warum, Mama?“
Die Mutter ließ ihre Hand sinken, die Bürste rutschte ihr aus den Fingern und fiel klappernd zu Boden. „Dein Daddy war nicht immer so … so wie heute. Dass er die Schule nicht beenden konnte, hat ihn sehr getroffen. Er wurde verbittert, und irgendwann hat er angefangen zu trinken. Du musst versuchen, ihn zu verstehen, Baby, er war ein großer Footballstar und wollte immer weg aus Bend,
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