Gefangene Seele
Raphael zum Abschied mitgegeben hatte.
“Wir haben über andere Dinge gesprochen”, sagte Luke. “Sobald die Polizei etwas herausgefunden hat, wird sie uns Bescheid sagen.”
“Was, wenn er nicht damit herausrückt? Was ist, wenn sein Auftraggeber herausfindet, dass er mich nicht umgebracht hat und jemand anderen schickt, der den Job zu Ende führt?”
“Deswegen bin ich ja hier”, sagte Luke.
Jade sah ihn irritiert an. “Bezahlt dich Sam dafür?”
“Zu Anfang hatte er mir das tatsächlich angeboten, aber ich habe sein Geld abgelehnt.”
“Und nun?”
Luke fasste sie am Handgelenk. Ihr Puls war schnell und ungleichmäßig. Er mochte das ebenso wenig wie die dunklen Ringe, die sie unter den Augen hatte.
“Ich bin hier, weil ich bei dir sein will”, sagte er leise, dann hob er sie auf und trug sie die Stufen hoch. “Süße, du bist kurz davor, vor Erschöpfung ohnmächtig zu werden.”
“Ich weiß.”
“Du musst schlafen.”
Sie legte ihren Kopf an seine Schulter “Ja … Das weiß ich auch.”
“Hast du Angst?”, fragte Luke.
Als sie ihm antwortete, war ihre Stimme so schwach, dass er den Kopf senken musste, um sie zu verstehen.
“Ich glaube, ich kann ohne Raphael nicht schlafen.”
Luke war fast oben an der Treppe angelangt. Jades Kopf rollte an seiner Schulter hin und her.
“Es gibt für alles ein erstes Mal”, sagte er und stieß die Tür zu ihrem Zimmer mit dem Fuß auf. Dann legte er sie auf das Bett.
Jade rollte auf die Seite. Ihre Augen waren geschlossen, noch bevor Luke ihr die Decke über die Schultern ziehen konnte.
Dann lehnte er sich zu ihr hinab, strich ihre Haare aus der Stirn und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
“Luke?”
“Ja, Baby?”
“Bleibst du hier, zumindest, bis ich eingeschlafen bin?”
“Ja.”
“Gut”, seufzte sie und schlief ein.
Einige Minuten später klopfte Sam leise an die Tür. Luke stand von seinem Sessel auf, um sie zu öffnen.
“Sie schläft”, flüsterte er und trat in den Flur hinaus.
“Gott sei Dank”, sagte Sam. “Ich weiß gar nicht, wie ich dir für all das, was du für uns getan hast, danken soll. Du brauchst nicht hierzubleiben. Ich setze mich zu ihr, während sie schläft.”
“Nein, ich habe ihr versprochen, dass ich hierbleibe.” Dann dämmerte es Luke, dass Sam ihn vielleicht gar nicht länger im Haus haben wollte. “… Wenn es dir recht ist, heißt das.”
“Alles, was Jade glücklich macht, ist mir sehr recht”, sagte Sam und lächelte. “Ach übrigens, ich habe mit Bentley gesprochen. Er ist immer noch Mabels Anwalt und war genauso geschockt wie wir von dem, was passiert ist.
Außerdem hat der Staatsanwalt den Leichnam von Raphael freigegeben. Ich habe ein Bestattungsinstitut angerufen. Sie melden sich, wenn wir die Urne mit seiner Asche abholen können.” Dann erschauderte Sam. “Ich höre mir selbst dabei zu, wie ich das sage, dabei kann ich das alles gar nicht glauben. Du hast Jade gefunden und zu mir zurückgebracht.
Ich kann gar nicht ausdrücken, welche Freude ich darüber empfinde! Aber seitdem sie wieder hier ist, geschehen nur noch schreckliche Dinge, und sie hat Angst. Ich mache mir solche Sorgen, dass … dass sie glauben könnte, dass dieses Haus … das Unglück anzieht. Was ist, wenn sie von hier fort will? Ich glaube nicht, dass ich es noch einmal ertragen könnte, sie zu verlieren.”
Luke legte seine Hand tröstend auf Sams Schulter.
“Denkst du immer noch, dass sie das tun würde? Nachdem was heute passiert ist? Ich meine … sie nennt dich Dad! Denk doch mal nach! Aufgrund all dessen, was hier geschehen ist, ist das ihre Zufluchtsstätte geworden. Siehst du nicht, dass diese Tragödie euch beide einander nähergebracht hat? Und das schneller, als es sonst geschehen wäre.”
Sam lehnte sich gegen die Flurwand, dann fuhr er sich mit den Fingern durch sein Haar.
“Du hast recht. Natürlich hast du recht. Aber manchmal habe ich fast Angst, mich schlafen zu legen, weil ich denke, es könnte wieder so sein wie vor zwanzig Jahren, als sie verschwand.”
“Ich traue Jade mehr als das zu”, sage Luke. “Und das solltest du auch tun.” Dann sah er auf die Uhr. “Es ist fast acht Uhr. Warum gehst du nicht früh zu Bett?”
Sam verdrehte die Augen. “Ich hätte fast vergessen, weshalb ich hochgekommen bin. Du hast seit Stunden nichts mehr gegessen. Soll ich dir etwas bringen?”
“Nein, danke. Bist du damit einverstanden, dass ich hier bei Jade bleibe?”
Sam nickte.
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