Gefangene Seele
Ihnen die Taschen sofort hoch. Darauf können Sie zählen.”
Jade holte tief Luft, dann seufzte sie. “Ja, also … na gut, danke schön.”
Er nickte ernst. “Keine Ursache, Miss.”
An der Eingangstür hing ein Willkommens-Schild. Raphael drückte die Klinke herunter und schob Jade vor sich in die Halle. Was ehemals wohl ein Salon gewesen sein musste, war in eine Eingangshalle mit Rezeption umgewandelt worden. Die Möbel waren antik und dunkel, aber Jade nahm einen Zitronenduft wahr, den sie als Orangenöl identifizierte. So, wie die Möbel glänzten, musste jemand seine Aufgabe, sie mit dem Öl zu pflegen, sehr ernst nehmen.
Sogleich erschien eine kleine, schmale schwarze Frau. Offensichtlich hatte Clarence die Wahrheit gesagt: Clarice war eindeutig seine Zwillingsschwester. Sie lächelte herzlich, bis sie bemerkte, dass auch Clarence eingetreten war. Sofort wurde ihr Lächeln breiter, sie ging auf ihren Bruder zu, um ihn zu umarmen. Dieser herzliche Empfang tat Jades Nerven gut.
Nach einer kurzen Begrüßung wandte sich die ältere Frau an ihre neuen Gäste.
“Herzlich Willkommen im Forsythia Inn”, sagte sie und betrachtete das erschöpfte Pärchen aufmerksam. “Erst einmal bekommen Sie von mir ein Zimmer, und dann kommen Sie ins Speisezimmer. Clarice hat einen großen Topf mit heißem Gumbo, das wird Ihnen bei diesem Wetter guttun.”
“Das hört sich toll an, aber wir müssen erst einmal über das Geschäftliche reden”, sagte Raphael und fühlte von außen seine Jackentasche, um zu kontrollieren, ob das Geld noch dort war. “Wie viel kostet ein Doppelzimmer pro Woche?”
“Sie wollen also länger bleiben?”, fragte Clarice.
Jade nickte.
“Dann sagen wir zweihundert Dollar pro Woche. Darin sind am Morgen ein Milchkaffee und ein Croissant und ein Abendessen enthalten – hausgemacht von mir.”
Das war eine Menge Geld für die beiden, die keine Arbeit hatten, aber es war ein faires Angebot, und Raphael und Jade wussten es.
“Wir nehmen es”, sage Jade.
Clarice gab ihnen den Zimmerschlüssel. “Wir haben auch Zimmer im Erdgeschoss, aber wenn es weiter so regnet, dann werden Sie irgendwann in einem Pool aufwachen, und das möchte ich nicht. Das Zimmer ist im ersten Stock, die dritte Tür auf der rechten Seite.”
“Pool? Sie meinen, das Hotel könnte überflutet werden?”, frage Jade.
Clarice zuckte mit den Schultern. “Schätzchen, es gibt bereits eine Flutwarnung. Und das Wasser wird dieses Hotel nicht verschonen. Aber machen Sie sich da mal keine Sorgen. Das Haus hat den Amerikanischen Bürgerkrieg überstanden, mehr Sturmfluten, als man zählen kann, und eine Handvoll Hurrikans. Dieser kleine Regenschauer wird vorübergehen, wie die anderen auch. Wir werden alle so weiterleben wie zuvor. In der Zwischenzeit richten Sie sich in Ihrem Zimmer ein, und ich bereite den Eintopf für Sie vor und decke den Tisch.”
Raphael nahm die Taschen, während Clarence aus einer Abseite ein zusammenklappbares Gepäckwägelchen holte und Jades Karton mit den Kunstsachen darauflud, bevor er ihnen die Stufen hinauf folgte.
Im Zimmer standen Möbel wie die im Empfangsraum, und alles war blitzblank geputzt. Das Bett – ein Himmelbett mit einem Moskitonetz, das zwischen den vier Pfosten gespannt war – stand in der Mitte des Raumes. Darauf lag eine ordentliche hellrosafarbene Daunendecke.
“Wie ich sehe, mag Clarice Sie”, stellte Clarence fest, als er den Karton abstellte.
Raphael drehte sich um, um ihn anzusehen. Er war sich nicht sicher, wie er das zu verstehen hatte. “Was meinen Sie?”
Clarence deutete auf das Bett. “Sie hat Ihnen das Hochzeitszimmer gegeben.”
“Warum ist das das Hochzeitszimmer?”, fragte Jade.
“Weil es ein eigenes Badezimmer hat”, sagte Clarence und zeigte ihnen die Tür, die zu ihrer Rechten lag. “Das ist das beste Zimmer.” Er zwinkerte Jade zu.
Jade ignorierte, dass der Fahrer wohl annahm, dass sie und Raphael ein Paar waren. Davon gingen Menschen, die sie trafen, immer aus, wenn die beiden zusammen waren. Für Jade war es unvorstellbar, mit Raphael eine sexuelle Beziehung zu haben. Aber wie sie wirklich zu Rafie stand, konnte kein Außenstehender begreifen.
Jade steckte die Hand in die Hosentasche, um dort nach Geld für Clarence zu suchen. Es war nicht selbstverständlich, dass er ihr die Kiste auf das Zimmer brachte.
“Danke.” Sie streckte ihm ein paar Scheine hin.
Clarence hob abwehrend die Hände. “Ihr Mann hat mich schon für die
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