Gefangene Seele
sich ein Familienschicksal zum Guten wenden.” Dann sah er Luke an. “Also, wen suchen wir?”
“Deine Tochter.”
Sam sah ihn ungläubig an. Er schwankte leicht, dann fand er aber Halt an der Anrichte hinter sich. Luke nahm ihn beim Arm, um ihn zu stützen.
“Komm, mein Freund, wir setzen uns besser hin, okay?”
Sam ließ sich zu einem Sessel führen. Shelly folgte den beiden und setzte sich ebenfalls. Sie starrte die beiden Männer an, legte wortlos den Umschlag auf ihren Schoß und fing an zu weinen.
“Willst du damit sagen, dass die Frau, mit der ich geredet habe, Jade ist?”
“Wenn sie diejenige ist, die den Fingerabdruck auf dem Gemälde hinterlassen hat, dann ist es so”, stimmte ihr Marsh zu.
“Ich bin so dumm gewesen. Wenn ich sie doch nur nach Margarets Tochter gefragt hätte.” Shelly tupfte sich mit einem Taschentuch die Tränen ab, dann lehnte sie sich auf dem Sofa zurück, ohne wirklich zu begreifen, was vor sich ging. “Was ich aber nicht verstehe ist, warum hat die junge Frau nicht gesagt, dass es ein Bild von ihrer Mutter ist? Sie sagte, die Frau auf dem Bild hieße Ivy.”
Luke wusste, welche Gründe Menschen, die als vermisst galten, hatten, Informationen zurückzuhalten. Keiner davon war positiv. Daher wählte er seine Worte sorgsam aus, um Sam nicht unnötig aufzuregen.
“Dafür gibt es allerlei Begründungen”, sagte er. “Und hör auf, dir Vorwürfe zu machen. Jade war noch so klein, als Margaret mit ihr fortgegangen ist, vielleicht hat ihr der Name Margaret nichts gesagt. Außerdem können wir nicht wissen, was Jade erzählt worden ist. Jedenfalls ist seit jenem Tag, als sie St. Louis verlassen hat, so viel Zeit ins Land gezogen, dass sie die Zusammenhänge vielleicht gar nicht gekannt hat. Häufig wird Kindern, die von einem Elternteil entführt werden, erzählt, dass der andere Elternteil tot sei … oder, in anderen Fällen, dass der Vater oder die Mutter das Kind nicht mehr lieb haben.”
“Um Himmels willen”, sagte Sam. “Was machen wir jetzt? Es geht schon wieder nur um Margaret. Sie ist untergetaucht und hat sich nie wieder gemeldet. Wenn Jade sich auch nicht melden will, dann geht das Gleiche wieder von vorne los. Was können wir tun?”
“Ich werde schon dafür sorgen, dass das nicht passiert”, sagte Luke und deutete auf den Umschlag auf Shellys Schoß. “Da sind die Fotos drin?”
Sie nickte und gab ihm den Umschlag.
Luke machte ihn auf und schüttelte die Bilder auf den Couchtisch vor ihnen. Fast umgehend fiel sein Blick auf eine Frau am Marktstand. Er wusste, dass er etwas sagen sollte, aber ihm war nicht klar, wie er ausdrücken konnte, was ihm im Kopf herumschwirrte.
Mit seinen siebenunddreißig Jahren hatte er schon eine ganze Menge attraktiver Frauen gesehen, aber dieses Gesicht auf dem Foto war unbeschreiblich. Diese Frau war wohl mit Abstand die schönste, die er jemals in seinem Leben gesehen hatte. Er nahm ein Foto nach dem anderen vom Tisch und starrte ungläubig auf ihre sanft geschwungene Wange und die vollen schwarzen Haare, die sich über ihre Schultern wellten. Als er schließlich auch einen Blick auf den Mann auf den Fotos warf, spürte Luke einen Knoten im Magen. Dieser Mann war auf seine ganz eigene Art schön, wie ein Mensch nur schön sein kann.
“Lass mich sehen”, bat Sam.
“Denke daran, dass wir noch nicht mit Sicherheit sagen können, ob diese Frau auch wirklich die Malerin des Porträts ist. Wir haben nur die Bestätigung, dass sie den Fingerabdruck auf das Bild gemacht hat.”
“Ich habe gesehen, wie sie Karikaturen anfertigte”, warf Shelly ein. “Und das T-Shirt, das sie trug, darauf waren winzige Farbflecken. Ich erinnere mich daran, dass ich dachte, dass sie wie das Klischee einer Künstlerin aussah, als ich die Flecken bemerkte.”
Luke gab Sam die Bilder und beobachtete genau, ob er Anzeichen von Schock aufwies. Aber Luke hätte sich darüber keine Sorgen zu machen brauchen. In dem Moment, als Sam auf den Fotos die Frau sah, ließ er einen tiefen Seufzer hören.
“Oh Gott … oh mein Gott. Sie sieht genau so aus wie meine Mutter!”
“Sind Sie sicher?”, fragte Detective Marsh. “Sehen Sie auch nicht etwas, was Sie sehen möchten?”
Sam sah ihn an, über seine Wangen rollten Tränen.
“Warten Sie”, sagte er und eilte aus dem Zimmer. Wenige Minuten später brachte er ein kleines gerahmtes Foto mit. “Das hier ist ein Bild meiner Mutter und meines Vaters an ihrem Hochzeitstag. Sehen Sie
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