Gefangene Seele
aussuchte. Er wusste gar nicht, dass es auch noch ein anderes Leben außerhalb der Kommune gab.
Dann passierte eines Tages etwas, dass sein Bewusstsein veränderte: Es war nur ein Haarriss in seiner bisherigen Welt, eine Schwäche in den Fesseln, die ihn an die Realität banden. Aber für ein Kind, das bisher nie ein Mitspracherecht gehabt hatte, war diese Veränderung immens. Raphael hatte nicht gewusst, dass man auch Nein sagen konnte, bis er eines Tages mit ansah, wie Jade einen Wutanfall bekam und sich den Befehlen von Solomon verweigerte.
Sie hatte nach ihrer Mutter gerufen, doch Solomon hatte nur gelacht und ihr gesagt, dass ihre Mutter fortgegangen sei und niemals zurückkehren würde. Raphael wollte Jade sagen, dass alles wieder gut werden würde, und dass die Onkel sie nicht mitnähmen. Er wollte ihr mitteilen, dass die Onkel immer wieder nach dem Spielen verschwinden würden, aber dazu hatte er keine Gelegenheit.
Auch wenn Jades kleine Rebellion ergebnislos blieb, hatte sie einen Gedanken in seinen Kopf eingepflanzt, der langsam Wurzeln schlug. Bis Raphael Jades Wutausbruch miterlebt hatte, hatte er keine Ahnung gehabt, dass auch er Recht auf eine eigene Meinung besaß.
Mit jedem vorübergehenden Jahr kamen sich die beiden näher und ihre Freundschaft wurde stärker und stärker. Als Jade zwölf und Raphael fünfzehn wurde, waren sie unzertrennlich.
Dann passierte das Unglaubliche: Jade wurde reifer. Sie ähnelte nicht mehr einer dünnen, haarlosen Puppe. Sie wurde zur Frau, und das machte einen der “Onkel” sehr unglücklich.
Frank Lawson hatte Solomon fünfhundert Dollar für eine ganze Nacht mit Jade bezahlt. Er war schon vorher viele Male mit ihr zusammen gewesen, aber noch nie für eine ganze Nacht. Auch hatte er sie seit einem halben Jahr nicht mehr gesehen. Als sie sein Zimmer betrat und er bemerkte, was die Natur mit ihrem Körper angestellt hatte, wurde er wütend. Ihre knospenden Brüste und runderen Hüften ließen seine Erektion so schnell verschwinden, wie sie gekommen war. Frank Lawson war wütend, und es war ihm peinlich, dass er keinen mehr hochbekam. Also versuchte er, mit ein wenig Acid nachzuhelfen. Innerhalb von Minuten meinte er zu beobachten, wie ihre kleinen Brüste weiter wuchsen, irre Farben annahmen und ihre Form veränderten. Der Schrecken, der Jade ins Gesicht geschrieben stand, verwandelte sich für ihn in die lachende, schreiende Fratze einer Hure.
Das, was er sah, machte ihm Angst, und so stürzte er auf sie los und begann, sie mit seinen Fäusten zu schlagen. Mittlerweile schien ihm ihr Körper ein Sinnbild dessen zu sein, was er begehren hätte sollen, ohne es zu tun. Er stolperte und versuchte sich an etwas festzuhalten, um sich aufzurichten. Zufällig kam ihm eine Flasche Wein in die Hände, er griff zu und erhob sie über seinen Kopf. Nur knapp verfehlte er das Mädchen. Die Flasche zerbarst an einem Bettpfosten. Der Wein spritze überall hin und Glasscherben lagen im Zimmer verteilt. Für Frank verwandelte sich alles in farbige Flecken und explodierte wie ein Feuerwerk.
Plötzlich verwandelte sich der Flaschenhals in seiner Hand in ein Schwert. Abrupt drehte er sich um und schwang es in Richtung der quietschenden und schreienden Hure, die er für immer ruhigstellen wollte.
Der Hieb, der die Haut zerteilte wie ein heißes Messer weiche Butter, war kurz. In seinem Drogenrausch sah Frank Lawson, wie die Frau die Hände an ihren Körper hielt, als versuchte sie, zwei Hälften zusammenzuhalten.
Als das Mädchen auf dem Boden zusammenbrach und in ihrem eigenen Blut lag, erschien Frank ihr Körper wie der einer kopflosen Schlange.
“Ja!”, rief er aus und hielt den Arm mit dem vermeintlichen Schwert in Siegerpose in die Höhe.
Raphael war von Jades Schreien wach geworden. Für seine fünfzehn Jahre war er recht groß und muskulös. In Panik rannte er aus seinem Zimmer und den Flur hinunter. Mit einem kräftigen Stoß brach er die Tür auf und sah, dass Jade in einer Blutlache lag. Er griff nach einem Stuhl und schlug dem Angreifer damit auf den Hinterkopf. Frank Lawson klappte zusammen wie ein bewusstloser Ochse. Raphael schrie um Hilfe. Schon bald konnte er hören, wie sich Schritte dem Zimmer näherten. Raphael war sich sicher, dass man ihnen helfen würde, nahm Jade in seine Arme und hob sie vom Boden auf.
Als Erstes kam Solomon herein, dann folgten ihm zwei seiner engsten Vertrauten. Sie sahen auf das Blut am Boden, dann auf den reglosen Mann.
“Du hast
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