Gefangene Seele
meinen Sie das?”
“Sie hatten einen Totalschaden zu derselben Zeit, als die Morde im Krankenhaus geschehen sind”, sprang Sam ein.
“Und, was hat das eine mit dem anderen zu tun?”, fragte Earl.
“Ich bin mir sicher, dass jemand sich an meinen Bremsen zu schaffen gemacht hat. Ob es nur dazu dienen sollte, uns aufzuhalten, oder ob er Jade damit umbringen wollte, das weiß ich natürlich auch nicht.”
Earl griff in seine Tasche und nahm sich noch ein Pfefferminzbonbon. Ihm wäre ein Mittel gegen Sodbrennen lieber gewesen.
“Ich bin mir da nicht sicher”, sagte er. “Ich schaue mir das an. In der Zwischenzeit muss ich wirklich mit ihr reden. Also, wo ist eigentlich die Ärztin?”
Genau in diesem Moment ging die Badezimmertür auf und eine Frau mit einem Handtuch kam herein. Sie war klein und dunkelhäutig, ihre Haare waren kurz geschoren und schwarz. Sie trug einen teuren olivgrünen Hosenanzug und ihr Make-up war makellos. Earl Walters erkannte auch sie und nickte ihr zu.
“Antonia.”
Sie schaute kurz zu Jade herüber, dann runzelte sie die Stirn.
“Das ist kein guter Zeitpunkt”, stellte sie fest.
Seine Meinung über Antonia DiMatto war nicht die beste, seitdem sie ihm ins Gesicht gesagt hatte, dass sie der Meinung sei, er solle sich den Schädel untersuchen lassen. Er hatte das persönlich genommen, und seitdem waren sie sich nicht sonderlich sympathisch.
“Das ist bei Mord selten der Fall”, sagte er und sah sie an.
Jade rollte sich auf die Seite und setzte sich auf die Bettkante. Ihre Augen waren angeschwollen und ihre Wangen nass.
Luke setzte sich neben sie, beugte sich zu ihr hinüber und flüsterte etwas in ihr Ohr, das Earl nicht verstehen konnte. Aber was es auch war, sie hörte aufmerksam zu. Jade betrachtete Earl so aufmerksam, dass er sich wünschte, er hätte die Spezialisten vom Morddezernat geschickt.
“Miss Cochrane, es tut mir leid.”
Jade holte langsam Luft und schlug dann die Hände vors Gesicht.
Earls Magen rebellierte. Wenn sie jetzt wieder zu weinen anfing, würde er sich entschuldigen und zusehen, dass er hinauskam. Aber zu seiner Überraschung sammelte sie sich und sah ihn an.
“Danke schön”, antwortete Jade.
Antonia DiMatto setzte sich auf Jades andere Seite und gab ihr das feuchte Tuch, das sie aus dem Badezimmer geholt hatte.
“Hier, meine Liebe. Wischen Sie sich damit das Gesicht ab, dann fühlen Sie sich besser.”
“Nein, das werde ich nicht.”
“Tun Sie es trotzdem”, beharrte Antonia.
Jade wischte sich mit dem Handtuch über ihr heißes und tränenüberströmtes Gesicht, und es fühlte sich tatsächlich gut an.
Earl lehnte sich vor und stützte seine Hände auf den Knien ab. “Ich möchte mit Ihnen über einige Dinge sprechen.”
Jade sah ihn erschrocken an. “Sind Sie vom Fernsehen?”
“Um Himmels willen, nein!”, rief Earl, errötete und hielt inne. “Entschuldigung, das ist mir so herausgerutscht.” Er holte seine Polizeimarke hervor. “Earl Walters, Polizeichef. Ihr Daddy und ich sind alte Freunde.”
Jade sah zu Sam herüber, der zustimmend nickte.
“Ich weiß nicht, wer meinen Rafie umgebracht hat”, sagte sie. Dann konnte man ihre Stimme nicht mehr verstehen.
Earl nahm sich einen Stuhl und setzte sich in ihre Nähe ans Bett. “Gibt es etwas aus der Vergangenheit, dass uns vielleicht weiterhelfen könnte … gibt es etwas, was jemanden wütend machen könnte? Vielleicht jemanden, der entweder Sie oder den jungen Mann tot sehen möchte?”
“Ja.”
Das war die letzte Antwort, die Earl erwartet hätte. Er zog einen Notizblock und einen Stift aus seiner Tasche.
“Können Sie mir einen Namen nennen?”
Sie saß einen Moment lang still und starrte auf den Teppich. Dann holte sie tief Atem, als habe sie sich gerade zu einer wichtigen Entscheidung durchgerungen, und dann sah sie Luke an.
“In der untersten Schublade in der Kommode liegt ein alter Karton. Würdest du mir den bitte holen?”
“Klar, Süße”, sagte Luke leise und stand auf, um den Karton zu suchen.
In dem Moment, als sie den Karton in den Händen hielt, war ihr, als spürte sie nichts mehr, und als würde ihre Seele nichts mehr erreichen. Wenn sie dieses hier geheim hielte, würde Raphaels Mörder entkommen, aber Sam würde es nicht erfahren. Wenn sie jedoch die ganze Wahrheit sagte, dann würde Sam sie nicht mehr bei sich haben wollen. Sie dachte daran, wie sie damals auf den Straßen überlebt hatte und wie es wäre, das jetzt ohne Raphael
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