Gefangene Seele
Tyler geht nicht an die Tür. Sie gibt mir das Geld immer, wenn ich fertig bin.”
Johnny bemühte sich, nicht zu ärgerlich zu wirken. “Ja, natürlich. Wenn du einen Moment wartest, schaue ich mal, wo Tante Mabel ist. Sie ist neuerdings so schwerhörig geworden, dass sie wahrscheinlich die Klingel nicht gehört hat.”
“Klar, kein Problem”, sagte der Junge und trollte sich zu einem Baum, um in dessen Schatten zu warten.
Dann fiel Johnny ein, dass Mabel ihm nicht mehr sagen konnte, wie viel sie dem Jungen schuldete.
“Sag mal”, rief Johnny, “wie viel Geld bekommst du von ihr?”
“Vierzig Eier.”
Johnny suchte in seinen Taschen nach seinem Portemonnaie. “Wie wäre es, wenn ich dir einfach gleich das Geld gebe, dann muss ich Tante Mabel nicht wecken, falls sie ein Nickerchen macht?”
“Ja, klar”, sagte Kevin. “Wow, was ist denn mit Ihnen passiert?”, fragte er, als er das Geld entgegennahm.
“Was meinst du?”, fragte Johnny.
Kevin deutete auf sein Hemd und seine Ärmel.
“Da ist ja überall Blut.”
“Oh, das. Ich hatte Nasenbluten”, sagte Johnny. “Das passiert mir häufiger. Wegen der schlechten Angewohnheit von früher.”
“Wie bitte?”
“Früher war ich ein großer Freund des weißen Zeugs.”
Kevin nickte und gab vor zu verstehen, worüber Johnny sprach, obgleich man ihm ansah, dass er geschockt war.
“Weißt du, Süßigkeiten für die Nase”, fügte Johnny hinzu. “Lass dir das gesagt sein: Fang gar nicht erst damit an. Es versaut dir mehr als nur deine Nase.”
“Ja, genau”, gab Kevin zurück, als er das Geld einsteckte, dann joggte er wieder zurück zu seinem Rasenmäher.
Johnny wartete, bis der Junge mit seinem Mäher außer Sichtweite war, dann beeilte er sich, ins Haus zu kommen. Normalerweise entgingen ihm Details nicht, aber er hätte sich denken müssen, dass eine ältere Frau wie Mabel Tyler natürlich nicht ihren Rasen selbst mähte. Er dachte darüber nach, dass es vielleicht noch weitere Dinge gab, an die er nicht gedacht hatte. Dieser Gedanke machte ihn nervös. Vielleicht hatte er doch nicht mehr so viel Zeit, Jade Cochrane umzulegen, wie er dachte.
Als ihm klar wurde, dass er seinen Besuch bei Mabel schneller als gedacht beenden musste, zog er seine Sachen aus und ging den Flur entlang, um zu duschen und das Blut abzuwaschen.
Später, als er unter dem warmen Wasserstrahl stand, brannte die Seife in den Wunden an seinen Händen und erinnerte ihn daran, dass er heute noch etwas anderes erledigen musste. Mit einem bösen Fluch duschte er die Seife ab, trocknete sich ab und zog sich schnell wieder an. Nachdem er die Treppe hinabgelaufen war, hielt er an, um in der Küche nach einer Kleinigkeit zu essen zu suchen. Dann griff er sich sein Fernglas und stellte sich vor das große Wohnzimmerfenster, um nachzusehen, was auf der Straße los war.
Er stellte seinen Teller mit dem kalten Aufschnitt und den Crackern auf den Beistelltisch neben seinem Stuhl, öffnete eine Dose Limonade, die er im Kühlschrank gefunden hatte, und nahm einen großen Schluck.
“Aaaah”, machte er und rülpste laut, als die Kohlensäure der Limonade in seiner Kehle aufstieg.
Er hielt das Fernglas vor die Augen und stellte die Gläser scharf, dann fokussierte er auf Sam Cochranes Haus gerade rechtzeitig, um zu sehen, dass auf der Auffahrt zwei Streifenwagen hielten. Er zog eine Augenbraue in die Höhe, dann tastete er nach den belegten Broten auf dem Teller, ohne das Fernglas von Sams Haus abzuwenden.
Er kaute leise und mit geschlossenem Mund, wie es ihm seine Mutter beigebracht hatte. Als ein weiterer Wagen hinter den Polizeiautos hielt, fokussierte er das Fernglas auf das Nummernschild.
PSYCHODR
Es dauerte einige Sekunden, bis er es verstanden hatte. Dann begriff er, dass der Wagen einem Psychologen gehörte. Er grinste, legte das Fernglas auf seinen Schoß und nahm den Teller vom Tisch. Dann aß er die restlichen Brote und Cracker.
“Ich glaube, da hat es jemand sehr schwer genommen, dass der Freund von uns gegangen ist. Das ist ja furchtbar.”
Er schüttete den Rest der Limonade hinunter und zerdrückte die leere Dose in seinen Händen, bevor er sie in einen reich verzierten Papierkorb in der Ecke des Zimmers warf.
“Zwei Punkte!”, rief er, als die Dose im Papierkorb versank. Dann legte er das Fernglas auf den Fußboden und trug seinen schmutzigen Teller in die Küche.
Als er mit dem Abwasch fertig war, forschte er in allen Schränken in den Badezimmern
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