Gefangener der Sinne - Singh, N: Gefangener der Sinne
wegen einer einzigen Wissenschaftlerin einen Krieg auf amerikanischem Boden riskieren?“, fragte Kaleb, um Nikita den Rücken zu stärken. „Wenn wir Härte zeigen und nur ein kleiner Prozentsatz unseres Volkes zu den Gestaltwandlern überläuft, wird das eine nicht mehr beherrschbare Erschütterung im Medialnet zur Folge haben.“ Er konnte nicht zulassen, dass ein Krieg etwas zerstörte, das eines Tages ihm gehören würde.
„Darf ich einen Zweistufenplan vorschlagen?“, unterbrach Anthony das kurze Schweigen. „Zunächst sollten wir versuchen, sie gefangen zu nehmen, um sie zu einem Widerruf zu zwingen. Jeder von uns ist in der Lage, ihre Abwehrschilde zu durchdringen – sie ist eine M-Mediale ohne Fähigkeiten zum Angriff.“
„Exzellenter Vorschlag“, stimmte Shoshanna zu. „Und die zweite Stufe?“
„Auslöschung.“
„Klingt vernünftig“, fasste Tatiana zusammen. „Das wird sie nicht nur zum Schweigen bringen, sondern gleichzeitig die Rebellen demoralisieren – selbst wenn sie sich Gehör verschaffen, wird es nichts bewirken.“
„Einverstanden.“ Der Vorschlag war einstimmig eingenommen.
Als Kaleb in sein Arbeitszimmer zurückkehren wollte, traf eine Information im Medialnet ein. Sofort stellte er telepathisch Kontakt zu ihm her.
Ming, ich nehme an, du steckst dahinter.
Das ist eine Nachricht. Ashaya Aleine ist nicht dumm. Sie wird sie verstehen.
17
Ich habe gerade eine Sendung gesehen, die alles verändern könnte. Wir müssen uns treffen. 8.00 Uhr. Sag den anderen Bescheid.
– handschriftliche Nachricht, im versunkenen Venedig unter einer Wohnungstür durchgeschoben
Dorian hatte Ashaya gegen das Geländer gedrückt, und Amara versuchte, sich in ihrem Geist festzuhaken. Etwas riss in Ashaya, ihr Verstand schrie auf, weil er sich eingesperrt fühlte, und sie stemmte sich mit aller Kraft gegen Dorians Brust. „Hören Sie auf.“ Sie zog schnell die Hände wieder zurück, denn ihre Handflächen spürten seine Wärme und Kraft.
Er lächelte, aber nicht sehr freundlich. „Angst?“
„Ich bin eine Mediale.“ Die Erinnerung daran half ihr, Amara zurückzudrängen. Sie war in Sicherheit. Diesmal wenigstens. „Ich fühle nichts.“ Dieselbe Lüge hatte sie sich schon ihr ganzes erwachsenes Leben erzählt, hatte die Wahrheit nur in tiefer Nacht an die Oberfläche steigen lassen, wenn sie sicher sein konnte, dass Amara schlief. Um ihre Schwester im Zaum zu halten und im Medialnet zu überleben, war Ashaya zu der Person geworden, die jeder von ihr erwartet hatte. Die mitleidlose Scharade hatte ihren Preis gefordert, aber Ashaya war nicht daran zerbrochen. Noch nicht, nicht, solange Keenan noch in Gefahr war.
„Meine Konditionierung hat ein oder zwei Mal versagt“, sagte sie, denn er hatte ihre Ausrutscher mitbekommen, „aber nun ist alles wieder in Ordnung. Ich bin wieder völlig umfangen von Silentium.“
„Lügnerin. Sie verstecken sich dahinter wie ein verängstigtes Kind.“
Sie gab nicht nach. „Sie können glauben, was Sie wollen. Das ändert nichts an den Tatsachen.“
Er schnaubte. „Wissen Sie was, Ashaya? Bei unserer ersten Begegnung dachte ich, Ihr verdammtes Herz sei kalt wie Eis.“ Er beugte sich so weit vor, dass sie seinen Atem an den Locken spürte, die sich aus dem Haarknoten gelöst hatten. „Aber ich habe Sie bislang nicht für feige gehalten.“
Einen Augenblick lang wurde das klaustrophobische Gefühl von einer Welle reiner Energie verdrängt. All ihre Versuche, Amara fernzuhalten, wurden dadurch vereitelt, aber in diesem Moment scherte sie sich nicht darum. „Wer gibt Ihnen das Recht, mich zu verurteilen? Sie sind doch selbst voller Vorurteile und Selbstmitleid.“
Die goldene Haut spannte sich über seinen Wangenknochen. „Vorsichtig, Süße. Ich bin nicht besonders freundlich, wenn ich sauer bin.“
„Gibt es da einen Unterschied? Sie behandeln mich doch bei jeder Gelegenheit unfreundlich. Wenn das das Ergebnis eines Lebens mit Gefühlen ist“, sagte sie und überzog absichtlich jedes Wort mit einer Eisschicht, „dann ziehe ich Silentium doch vor.“
Die Balkontür ging auf und traf Dorian an der Schulter. Er wandte sich nicht um, aber Ashaya sah ein paar lebendige, grüne Augen im Gesicht eines Mannes, dessen eine Wange wild aussehende Male zierten. Er zog eine Augenbraue hoch. „Die meisten brauchen mehrere Tage, ehe sie Dorian so weit haben, dass er kurz davor ist, einen Mord zu begehen. Sie scheinen da eine gewisse Begabung zu
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