Gefangener der Sinne - Singh, N: Gefangener der Sinne
sie gut und hatte auch daran gedacht –, kehrte ins Wohnzimmer zurück und setzte sich wieder neben Dorian. „Ein Objektträger“, erklärte sie der Katze, die verdächtig geduldig auf ihre Rückkehr gewartet hatte. „Ich habe nur einen, darf mich also nicht vertun. Ein Tropfen Blut wäre vielleicht am besten – mein geistiges Auge kann die Struktur von weißen Blutkörperchen am besten ‚erkennen‘.“
„Ich habe zwar im Moment nicht die geringste Lust, mich zu schneiden.“ Das eigentümliche Glitzern in seinen Augen wurde noch leuchtender. „Aber ich werde es tun … gegen Bezahlung.“
Sie erstarrte und steckte den Träger wieder in das Päckchen zurück. „So neugierig bin ich nun auch wieder nicht.“
„Sind Sie doch.“
Das stimmte. Deshalb war sie ja auch Wissenschaftlerin. „Ich habe nichts anzubieten.“
„Wie ich schon sagte“, erwiderte er, den Blick auf ihren Lippen, was ein ziehendes Gefühl in ihrer Magengegend auslöste, „meine Katze will wissen, wie du schmeckst, Shaya.“ Sogar sein Lächeln erinnerte sie an eine Katze. „Ein Kuss juckt dich als Mediale doch nicht. Ist doch nur eine primitive tierische Angelegenheit. Abgemacht?“
„Ich wusste gleich, dass Ihre Kooperation einen Haken hat.“ Über seine Entschuldigung mochte sie nicht einmal nachdenken, so sehr verwirrte es sie.
Jetzt war sein Lächeln umwerfend charmant. „Ich bin eine Katze, Süße. Was hattest du erwartet?“
Sie musste unbedingt mehr über Leoparden herausfinden, mehr über ihr Verhalten lernen. Aber eins wusste sie schon jetzt – sie waren hochintelligent. „Erst das Blut.“ Sie gestattete es sich nicht, an die andere Seite des Handels zu denken.
„Vertraust du mir nicht?“
„Nein.“
Er grinste noch einmal und hatte plötzlich ein Messer in der Hand. Schnell holte sie den Objektträger wieder heraus, er stach sich in den Finger und hielt ihn über das Glasplättchen. Sie fing einen Tropfen auf und verschloss den Träger. Für einen geistigen Schnappschuss würde sie sich längere Zeit auf den Blutstropfen konzentrieren müssen, bis sie durch die Zellwände zum Kern und zu den DNA-Strängen vorgedrungen war.
Als sie den Träger weggepackt hatte, sagte er: „Jetzt bist du dran.“
Ihr Herz schlug schneller, ihre Schilde bröckelten und Amaras Gegenwart drängte heftig gegen die Mauern in Ashayas Bewusstsein. Aber sie bat Dorian nicht, aufzuhören.
Seine Lippen pressten sich auf ihren Mund.
Und die zerbröckelnden Schilde fielen ganz von ihr ab. Einen Augenblick glaubte sie, Amara sei wieder in ihrem Kopf, aber dieses Chaos gab ihr Halt, war wie eine andere Mauer – ihre Zwillingsschwester wurde zurückgehalten, hinausgedrängt. Der Gedanke flammte kurz auf, dann dachte sie nichts mehr.
Sie hatte seinen Geschmack im Mund, dunkel und sehr männlich, ein eigentümlicher Gegensatz zu seiner Schönheit. Versehen mit einem fremden, schwer bestimmbaren Schild, der Amara fernhielt, brach Ashaya mit allen Regeln und gab sich der neuen Erfahrung hin. Als sie seine Zunge spürte, zog sich ihr Hals zusammen. Er stieß noch einmal gegen ihre Zunge. Zitternd tat sie das Gleiche. Sein Knurren ergoss sich in ihren Mund und jede Faser in ihr bebte.
Er war derjenige, der sich zurückzog. Blinzelnd versuchte sie, wieder zu Atem zu kommen. Aber sie schmeckte ihn noch auf ihren Lippen, wollte mehr – für andere Gedanken war kein Platz.
„Ich rieche etwas.“ Sein Gesicht hatte den lauernden Ausdruck eines Jägers. „Einen Eindringling.“
Ashaya, was tust du? Warum kann ich es nicht sehen?
Diese Worte brachten sie schlagartig wieder zu sich. Sobald Dorian sie nicht mehr berührt hatte, war auch verschwunden, was sie vor Amara beschirmt hatte. Die Schilde gegen das Medialnet hielten – sie wusste nicht, warum oder wie –, aber sie konnte sich damit auch nicht weiter beschäftigen, denn Amara war wieder durchgebrochen. Ihre Zwillingsschwester versuchte, wieder von ihr Besitz zu ergreifen, aber abgesehen von den durch Gefühle ausgelösten Entgleisungen besaß Ashaya schließlich jahrelange Erfahrung. Außerdem musste sie sich um Keenan kümmern.
Niemand würde ihrem Sohn etwas tun.
Durch diesen Schwur gestärkt, gelang es ihr, ihre Schwester hinauszudrängen, aber nur um den Preis innerer Verletzungen.
Dorian knurrte, und die feinen Haare auf ihren Unterarmen richteten sich auf. „Es ist weg. Was zum Teufel war hier im Zimmer, Ashaya?“
Dieses Geheimnis konnte sie nicht mit ihm teilen.
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