Gefangener der Sinne - Singh, N: Gefangener der Sinne
beinahe ihre nächsten Worte nicht verstanden hätte.
„Ich will Ihre DNA.“
20
Bei einem Kuss verschmelzen Lippen miteinander. Seit meinem verblüffenden Traum habe ich diese Form der Zuneigung von allen Aspekten her betrachtet, aber der Sinn hat sich mir nicht zu erkennen gegeben.
– aus den verschlüsselten Aufzeichnungen Ashaya Aleines
Ihre unverblümte Antwort überraschte Dorian. „Dem Rat gegenüber waren Sie offensichtlich nicht so direkt.“
„Ich kann taktieren, wenn es notwendig ist.“ Ihre Stimme klang kühl, aber ihr Herz schlug unregelmäßig. „Doch das entspricht nicht meinem Wesen.“
Er glaubte ihr. „Wollen Sie meine DNA manipulieren?“, fragte er spöttisch.
„Natürlich nicht.“ Sie streckte die Beine aus und berührte mit den Zehen das Glas der hohen Balkontüren.
Er sah auf ihre kurzgeschnittenen, unlackierten Zehennägel und spürte erneut das Verlangen zuzubeißen. In dem Moment sagte sie: „Wenn ich Sie loswerden wollte, würde ich es so leise und effizient tun, dass jedermann glaubte, Sie wären eines natürlichen Todes gestorben.“
Wenn eine andere Frau ihm auf diese Weise gedroht hätte, hätte er vermutlich gegrinst und irgendetwas Schlagfertiges darauf erwidert. Aber Ashaya war nicht irgendeine andere Frau. Sie war eine Wissenschaftlerin, die Jahre in unmittelbarer Nähe des Rates zugebracht hatte. Außerdem war sie die einzige Frau, bei der er Gefahr lief, die Beherrschung zu verlieren. „Das würde ich an Ihrer Stelle bleiben lassen.“ Eine leise, tödliche Drohung.
Eine solche Antwort hatte Ashaya nicht erwartet, obwohl sie nicht hätte sagen können, warum. Es schien ihr nur grundsätzlich falsch zu sein. „Würden Sie mich töten?“
„Nein. Es gibt andere Möglichkeiten, eine Frau zu zerstören.“ Die Antwort sagte ihr nichts, stieß aber bis in ihr Innerstes vor, dorthin, wohin einzig und allein Dorian gelangen konnte. Ihr Bewusstsein taumelte unter dem Schlag, mühsam stellte sie ihre Schilde wieder auf.
In diesem Augenblick fand Amara sie erneut.
Böse, böse Ashaya. Versucht sich zu verstecken.
Ashaya unterbrach die Verbindung, so schnell sie konnte, sie hatte Erfahrung darin, wusste aber, dass sie nur Risse flickte, nur das Unvermeidliche hinausschob … denn sie wollte ihre Zwillingsschwester nicht töten. Was immer Amara auch getan hatte, sie hatte stets die geschwisterlichen Bande aufrechterhalten – hatte Ashayas Geheimnisse nie verraten.
Psychisch schwer angeschlagen hob Ashaya den Kopf. Dorian sah sie mit gerunzelter Stirn an. „Ihre Augen sind gerade völlig schwarz geworden“, sagte er und sah sie lauernd an. Wie eine Raubkatze, dachte sie.
„Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Sie mir drohen würden“, sagte sie, konnte aber trotz allem ihre Neugier nicht unterdrücken. „Ist Keenan noch in Sicherheit? Sie haben doch nichts Beunruhigendes gehört?“ Ihr war egal, wie viel sie damit von sich verriet, sie musste einfach wissen, wie es ihrem Sohn ging.
„Es geht ihm gut – ich habe mich erkundigt. Die Handys funktionieren wieder.“
„Vielen Dank.“ Sie hätte gern noch mehr erfahren, schluckte die nächste Frage jedoch hinunter. Wenn sie zu viel wusste, konnte sie ihn genauso gut besuchen – beides würde Amara zu ihm führen.
Dorian starrte sie weiterhin an. „War das ein Spiel?“
„Was?“
„Die Sache mit dem natürlichen Tod.“
Sie wusste nicht, was für eine Antwort er erwartete. Deshalb sagte sie ihm einfach die Wahrheit. „Sie waren nicht ganz ernst. Und ich auch nicht.“
Er stieß erleichtert die Luft aus. „Tut mir leid, dass ich Sie angeknurrt habe.“ Sie sah ihn nur überrascht an, und er verzog das Gesicht. „Wie viel DNA brauchen Sie?“
Sie blinzelte, starrte in diese außergewöhnlich blauen Augen. Er war zu schön, um wahr zu sein. „Wollen Sie nicht wissen, wozu ich es brauche?“
„Um sich meine anormale genetische Struktur anzusehen.“
Augenblicklich war sie auf der Hut – er war viel zu kooperativ. „Ja“, sagte sie vorsichtig. „Ich will herausfinden, warum Sie so sind, wie Sie sind.“
„Warum holen Sie sich die DNA nicht heimlich? Müsste doch leicht für Sie sein.“
Sie traute diesem eigenartigen Glitzern in seinen Augen nicht. „Telepathen halten sich an gewisse ethische Grenzen und ich ebenfalls. Ich brauche nur wenig. Warten Sie einen Moment.“
Sie ging schnell in ihr Zimmer und zog ein kleines Päckchen aus einer Tasche ihres Rucksacks – Zie Zen kannte
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