Gefangener der Sinne - Singh, N: Gefangener der Sinne
Psychopathen sind. Jedes Gefühl der Anziehung wird dann sofort eines schnellen Todes sterben.“ Er wandte sich ab und ging in sein Zimmer. „Zieh dich an. Wir haben gleich einen Termin.“
Noch lange nach seinem Abgang stand sie dort und starrte blicklos durch die Scheiben nach draußen. Auf ihren Lippen lag noch schwach Dorians Kuss, hart und doch weich, ein seltsamer Gegensatz. Er hatte vor Zorn in Flammen gestanden, heiß genug, um sie zu versengen. Aber – ihre Finger legten sich auf ihre Lippen – er hatte seine Stärke nicht dazu benutzt, sie zu verletzen. Nicht einmal ganz am Schluss.
Das ließ nicht etwa darauf schließen, dass sie ihm irgendetwas bedeutete, das wusste sie. Es war wohl hauptsächlich dem Ehrenkodex geschuldet, nach dem er lebte. Dorian würde ihr ohne mit der Wimper zu zucken das Leben nehmen, wenn sie sich als Verräterin oder gar Bedrohung erweisen würde, aber bis dahin würde er ihr nicht ein Haar krümmen. Man munkelte, dass die Männer der Gestaltwandlerraubtiere generell über einen starken Beschützerinstinkt verfügten. Dorian war da sicher nicht anders.
Also warum kümmerte sie seine Reaktion? Warum musste sie das Bedürfnis unterdrücken, ihm hinterherzulaufen und ihn zu bitten, sie nicht mehr anzuschreien und ihr endlich zuzuhören? Warum löste er blinde Wut in ihr aus, unbeirrt von den zerbrochenen Schilden von Silentium, die sie immer noch versuchte wieder herzustellen, von ihrem Bedürfnis, sich um Keenan zu kümmern und von allem anderen?
Warum um alles in der Welt … weckte Dorian überhaupt Gefühle in ihr?
21
Mir bleibt keine Zeit mehr. Wenn du aufwachst und diesen Brief findest, befinde ich mich schon auf der Flucht. Aber ich weiß, dass Du Dein Versprechen halten und sie vor Unheil bewahren wirst.
– aus einem Brief, unterschrieben mit „Iliana“, September 2069
Dorian zog sich gerade ein weißes T-Shirt über, als sein Handy klingelte. „Ja“, schnauzte er.
„Pass auf, dass niemand Ashaya sieht, wenn ihr geht“, sagte Clay. „Teijan sagt, es schnüffeln Leute draußen herum.“
„Mann, was für Neuigkeiten. Wir wissen doch, dass der Rat hinter ihr her ist.“
„Keine Medialen, Menschen.“
Das gab Dorian zu denken. „Verdammt. Das Omega-Virus. Irgendwelche Idioten wollen es als Biowaffe benutzen.“
Clay grunzte zustimmend. „Eine Möglichkeit, die Medialen auszuschalten.“
Dorian stellte sich eine Welt ohne Mediale vor. Seine Eingeweide zogen sich zusammen, so seltsam erschien ihm diese Idee. „Genozid ist nie schön, ganz egal, wer das Ziel ist.“
„Ich werd darüber keinen Streit anfangen. Tally ist schließlich zu drei Prozent eine Mediale – Mist, sie hat mich geschlagen.“
Clays scherzhafte Bemerkung ließ etwas in Dorians Hirn einrasten. „Ist diesen Idioten denn nicht klar, dass das Virus die Schranken der unterschiedlichen Gattungen so schnell überspringen kann, dass wir alle etwas davon haben? Vor Silentium haben sich Medialen mit den anderen fortgepflanzt – zum Teufel, wahrscheinlich hat die Hälfte des Planeten Medialenblut. Du hast es schon gesagt, Tally …“
„Hab ich dir erlaubt, sie Tally zu nennen, du Wunderknabe?“
„Und hab ich dir nicht gesagt, wenn du mich weiter so nennst, landet Tally im nächsten Eiswasserbecken?“, schoss Dorian zurück, aber seine Anspannung ließ nach. Er runzelte die Stirn. „Bei Talin spielt das Medialenblut keine große Rolle, aber wenn Sascha und Lucas ein Kind haben sollten oder Faith und Vaughn …“
„Der Rat muss Bescheid gewusst haben“, sagte Clay. „Omega könnte ihre Leute bei der Stange halten und als Bonus Menschen und die verfluchten Gestaltwandler auslöschen.“ Er schwieg. „Tally meint, sie würden sich vielleicht ein paar Menschen zum Saubermachen halten, und solche, die sich vor ihnen auf der Straße verbeugen.“
Dorian lächelte. Tally hatte diese Wirkung auf ihn. Er hatte eher erwartet, sich in eine Frau wie sie zu verlieben. Mit hitzigem Temperament, wahnsinnig besitzergreifend und teuflisch loyal. Stattdessen fühlte er sich von einer Frau angezogen … Er holte tief Luft und versuchte, die erneut aufsteigende Wut zu bekämpfen. „Vielleicht weiß der Rat wirklich Bescheid, aber ich wette, die Leute, die es auf die Daten abgesehen haben, haben keinen Gedanken daran verschwendet. Man kann ein Virus nicht auf eine einzige Art beschränken, auch wenn man es noch so geschickt anstellt.“
„Stimmt, die Welt ist eben voller Idioten. Pass
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