Gefangener der Sinne - Singh, N: Gefangener der Sinne
gut auf Aleine auf.“ Wieder war es am anderen Ende der Leitung kurz still. „Tally meint, du sollst nett zu ihr sein – nur ihretwegen sind Noor und Jon noch am Leben. Wenn du ihr wehtust, habe ich den Auftrag, dich in deinen hübschen Hintern zu treten.“
„Sag Tally, ich danke ihr für das Kompliment.“ Er unterbrach die Verbindung, während Clay noch knurrte. Sobald er sich nicht mehr auf irgendetwas anderes konzentrierte, schlug Ashayas Duft wie eine Woge über ihm zusammen. Wilder Honig und lustvolle, heiße Weiblichkeit. Er fühlte sich voll Verlangen und hungrig.
Ich habe mich mein Leben lang vor einen Psychopathen gestellt, hatte sie gesagt.
Und dennoch wollte er sie.
Er wusste nicht, wer ihn mehr anwiderte – sie oder er sich selbst.
Sie saßen im Wagen und fuhren bereits aus der Stadt heraus, als Ashaya ihn schließlich fragte, wohin es ging.
„Jemand will dich sehen.“
Sie überlegte. Die Liste der Leute, die wussten, dass man sie über die Leoparden erreichen konnte, war sehr, sehr kurz. „Wo soll dieses Treffen stattfinden?“
„An einem Ort, der das Rudel nicht in Verlegenheit bringt.“
Damit wusste sie weniger als nichts. Aber sie konnte abwarten. Wenn sie bei ihrer Arbeit ihr Bestes gab, tat sie oft stundenlang nichts anderes, als nachzudenken. Nun wandte sie sich dieser Fähigkeit zu, zog den Objektträger aus dem kleinen Rucksack zu ihren Füßen und konzentrierte sich. Ein Teil ihres Gehirns sah keinen Tropfen Blut, sondern Zellen, Chromosome und Gene.
Der genetische Fingerabdruck der Gestaltwandler war schwieriger zu entschlüsseln als die DNA der beiden anderen Gattungen. Was immer ihnen erlaubte, sich zu verwandeln, behielt die genetischen Geheimnisse für sich. Andere hatten schon vergeblich nach den Ursachen für Dorians Unvermögen gesucht, und Ashayas Chancen, etwas zu finden, waren relativ gering. Aber gerade deswegen war diese Aufgabe intellektuell so reizvoll, ein Rätsel, das ihre Gedanken auf jeden Fall von dem Gestaltwandler ablenken würde, der direkt neben ihr saß.
Doch da irrte sie sich.
Es war, als ginge von Dorian eine heiße psychische Welle aus. Sie schob die Ärmel ihres weißen T-Shirts hoch und sah, dass sich die feinen Härchen auf ihrem Unterarm aufgerichtet hatten. „Könntest du deine Energie etwas zügeln?“
„Ich bin kein Medialer.“
Sie zog die Ärmel wieder herunter, versteckte den Beweis ihrer unfreiwilligen körperlichen Reaktion auf seine Nähe. „Du bist nicht gerade eine angenehme Gesellschaft.“
„Wenn dich das überrascht, hast du nicht die mindeste Ahnung von Gestaltwandlermännern.“ Er lachte kurz auf. Was für Männer kannte sie überhaupt? Dann fiel es ihm ein. „Larsen.“ Der Wissenschaftler hatte Kinder entführt, an ihnen Experimente durchgeführt und sie getötet. „Du kennst nur Reptilien.“
„Larsen“, sagte sie leise, „war völlig anormal, was ich bei unserem ersten Treffen festgestellt habe. Deshalb habe ich mich auch geweigert, mit ihm zusammenzuarbeiten.“
Er hatte mit einem taktischen Ausweichmanöver gerechnet und stattdessen Einblick in die komplizierte und faszinierende Frau bekommen, die unter der Medialenschale steckte. Trotz der Mischung aus Wut und sexuellem Verlangen, die ihm immer noch die Luft nahm, wollte er hinter diese Schale sehen und herausfinden, wer Ashaya Aleine wirklich war: Beschützerin von Bestien oder Retterin der Unschuldigen? „Ich dachte, er hatte ein eigenes Projekt im Labor?“
„Später ja.“ Ihre Stimme wurde noch kälter. „Die Experimente waren nicht von mir autorisiert. Doch zuerst hatte der Rat ihn mir als Assistenten an die Seite gestellt.“
„Hat irgendjemand je herausbekommen, dass du Noor und Jon zur Flucht verholfen hast?“
„Ich sagte ihnen, die Kinder seien tot. Darum mussten sie nach ihrer Flucht von der Bildfläche verschwinden. Jetzt hat es allerdings keine Bedeutung mehr.“
Hat es doch, dachte Dorian, sagte es aber nicht. Beiden Kindern war ein neues Leben geschenkt worden, ein neuer Anfang. Diese Möglichkeit hätten sie nicht gehabt, wenn diese rätselhafte Frau nicht ihr Leben für sie aufs Spiel gesetzt hätte. „Warum hast du das getan? Warum hast du den Kindern geholfen?“
„Habe ich dir doch schon gesagt, als du das erste Mal nachgefragt hast – rein aus taktischem Kalkül.“
Er hatte auf einem starken Ast im Blätterwerk eines Baums gelegen, das Auge am Zielfernrohr, Ashayas verwirrende und eisige Stimme hatte ihn so tief und
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