Gefangener der Sinne - Singh, N: Gefangener der Sinne
den Blick fest auf die rote Brücke gerichtet, die gerade vor ihnen auftauchte, wollte den Zorn nicht in Dorians Gesicht sehen.
Dann spürte sie seine Hand auf ihrer Schulter, und ihr Magen beruhigte sich wieder. Sie fühlte sich seltsam abhängig von seinen besitzergreifenden Berührungen. Als sie ihn wieder anblickte, sah sie, dass er mit halbgeschlossenen Augen ihre Schulter fixierte. Irgendwie wurde es dadurch leichter fortzufahren. „Das Band existiert seit unserer Geburt, und nie hat jemand etwas davon bemerkt. Ich weiß nicht, wie viel du über geistige Netzwerke weißt …“
„Einiges.“ Er sah auf, und sein Blick war beinahe eine Liebkosung.
Sie konnte sich gerade noch davon abhalten, die perfekten Konturen seiner Lippen mit den Fingerspitzen nachzuziehen. „Ich habe herausgefunden, dass man früher emotionale Bindungen im Medialnet sehen konnte. Heute sind diese Verbindungen ausgelöscht.“ Keine Bänder der Liebe. Nicht einmal welche des Hasses. Nur Leere. „Jedes Bewusstsein existiert völlig getrennt von den anderen.“
„Wirklich? Warum weiß Keenan dann, dass du ihn liebst?“
„Das tut er nicht.“ Und dieses Eingeständnis war niederschmetternd. Um sein Leben vor allem Bösen zu bewahren, hatte sie seine kindliche Seele schwer verletzt.
„Zum Teufel noch mal“, schnaubte Dorian. „Deshalb hat er doch diese Show abgezogen – er wusste, seine Mutter würde alles stehen und liegen lassen, um zu ihm zu kommen.“
Ashaya spürte, wie etwas in ihrer Brust bei diesen Worten zu bluten anfing, und das schockierte sie dermaßen, dass sie fast alles verraten hätte. „Es gibt eine Verbindung zu Keenan – man kann sie aber auch nicht sehen.“ Ihre Stimme brach. „Ich glaube, meine Bemühungen, Silentium aufrechtzuerhalten, haben das Band zwischen uns unsichtbar gemacht – ich habe meinen Sohn davon abgehalten, mich zu erreichen.“
„Hör auf damit.“ Er schloss seine Hand um ihren Nacken, und diese Geste war sowohl dominant als auch … zärtlich.
Sie erweckte in ihr noch mehr von diesen gegensätzlichen Gefühlen, die sie unbedingt zurückhalten musste. Denn wenn Amara erst einmal mit dem Spiel begann … „Meine Zwillingsschwester wird mich niemals töten oder in tödliche Gefahr bringen, ganz gleich, wie hart der Kampf wird. Auf ihre sehr eigene Art und Weise liebt sie mich – ich bin ihre einzige Spielkameradin, ihre einzige Freundin. Aber sie könnte Keenan töten.“
„Warum? Er ist ein Kind, und was noch wichtiger ist, das Kind ihrer Schwester.“
Ihr Herz schlug wieder schneller, aber diesmal war das Gefühl dahinter ein anderes, wild und rau, mit Zähnen und Krallen. „Amara“, sagte sie und versuchte, die Aggressivität zu verbergen. „Amara sieht das nicht so. Für sie gehöre ich ihr ganz allein, und Keenan ist ein Eindringling.“ Eine bizarre Wendung in einer sowieso schon gewundenen Geschichte.
„Willst du damit sagen, die eigentliche Gefahr gehe von ihr aus?“
„Ich will damit sagen, selbst wenn es mir gelingen sollte, den Rat abzuschütteln, wird mich Amara mein Leben lang verfolgen. Ganz egal, wohin ich gehe, sie wird mich finden und wieder ihr Spiel mit mir treiben, wird versuchen, mich wahnsinnig zu machen.“ Ashaya holte tief Luft. „Das Schlimmste daran ist, dass sie immer böser wird, je mehr ich empfinde. Als würden meine Gefühle ihrem Wahnsinn Nahrung geben. Ich habe Angst, dass sie es eines Tages zu weit treibt und mich dazu bringt, Keenan wehzutun.“
Sie wollte wegschauen, aber Dorian fasste sie am Kinn und drehte ihr Gesicht zu sich herum. „Was hat sie dir angetan, Shaya?“
„Du vergisst immer das A von meinem Namen.“
„Ach, wirklich?“
Auch das war ein Spiel. Aber ohne die Absicht, jemanden zu verletzen. „Dorian, deine Berührungen bringen mich aus dem Gleichgewicht, und das lässt Amara böser werden, stärkt das Zwillingsband. Wenn sie in meinen Kopf eindringt, kann sie sehen, was ich sehe, und hören, was ich höre. Ich will sie nicht hier bei uns in diesem Wagen haben.“ Ich will dich nicht mit jemandem teilen.
Auch wenn es den Leoparden frustrierte, er konnte ihre Bitte nicht einfach abtun. Dorian rutschte in seinen Sitz zurück und überprüfte, ob sie noch auf dem richtigen Weg zu Tammy waren. „Um Amara in Ketten zu halten, willst du also nur ein halbes Leben führen.“
„Wenn Keenan dadurch in Sicherheit ist, ja.“ Ihre Stimme klang ruhig, aber ihre Lippen zitterten. Sie presste sie fest zusammen.
„Amara
Weitere Kostenlose Bücher