Gefesselte Lust
mich, es ähnelt den Fotos im Flur und im Büro, doch sehe ich hier erstmals Gesichter. Es sind ausschließlich Frauen, und auf ihren Gesichtern spiegeln sich Ekstase und absolute Hingabe wider. Der Anblick berührt etwas in mir, und ich spüre, wie ich knallrot werde. Ob Jonah die Fotos selbst geschossen hat? Der Schreibtisch ist von der Tür her nicht einzusehen, und jetzt, wo ich darüber nachdenke, bin ich mir fast sicher, die Bilderrahmen bei meinem letzten Besuch nicht gesehen zu haben.
Was bedeuten diese Frauen für Jonah?
Ich spüre einen schmerzhaften Stich, und mir wird bewusst, dass es sich dabei um Eifersucht handelt. Entschlossen stelle ich das Bild wieder auf den Schreibtisch. Das ist lächerlich. Jonah ist ein Mann, der eindeutig außerhalb meiner Liga spielt. Es ist Unsinn, auch nur davon zu träumen, dass -
»Etwas Interessantes gefunden?«
Ich wirble herum und falle dabei fast geradewegs in Jonahs Arme, der sich direkt hinter mir befindet. Hat dieser Mann Katzenpfoten anstelle von Füßen?
»Ich, ähm … Ich wollte nur -«
Zwischen Jonahs schwarzen Augenbrauen zeichnet sich eine steile Falte ab, und seine blauen Augen scheinen kalte Blitze zu verschießen. Mir bleibt der Rest des Satzes im Hals stecken; ich möchte am liebsten im Erdboden versinken. Doch trotz all meiner Scham kann ich nicht ignorieren, wie nah wir uns sind. Jonahs Präsenz, sein Duft, sein ganzes Ich nimmt mich gefangen. Ich kann mich kaum rühren.
»Ich habe dich etwas gefragt.«
Seine Stimme ist schneidend. Irgendetwas in mir gibt einfach auf. »Ich will auch in einem Bilderrahmen auf deinem Schreibtisch stehen.«
Hab ich das wirklich gesagt?!
Jonah starrt mich genauso fassungslos an, wie ich mich fühle. Die Worte hängen zwischen uns, aber ich kann sie leider nicht mehr aus der Luft pflücken und verschwinden lassen. Doch was dann geschieht, lässt mich überrascht nach Luft schnappen: Jonah umfasst meine Arme, zieh mich an sich, und dann berühren seine Lippen die meinen. Eng an seine Brust geschmiegt, nimmt er meine Welt ganz für sich ein. Ich rieche seinen Duft, kann sein Herz schlagen hören und spüre die harten Muskeln unter meiner Wange. Sein Geschmack ist wundervoll, anders als alles, was ich bisher schmecken durfte, und dieser Kuss hat nichts mit dem stümperhaften ersten – und bisher einzigen – Kuss zu tun, den ich während meiner Studienzeit bekommen habe.
Jonahs Zungenspitze gleitet über meine Lippen; all mein Fühlen scheint sich nur noch in diesem Teil meines Körpers zu konzentrieren. Ich höre mich selbst seufzen, die Zeit steht still. Gerade als ich den Mut finde, seinen Kuss zu erwidern, zieht er sich zurück. Der Blick aus seinen blauen Augen ruht auf mir, ernst, nahezu feierlich. »Du weißt nicht, was du da sagst«, murmelt er so nah an meinem Mund, dass ich mich bemühen muss, seine Worte zu verstehen. Zu stark ist der Wunsch, ihn noch einmal zu küssen, noch einmal von ihm geküsst zu werden.
»Doch«, erwidere ich ebenso leise, als ich endlich verarbeiten kann, was er da sagt. »Doch, das weiß ich.«
Jonahs Blick ist ungläubig. Er schüttelt den Kopf und lässt mich so abrupt los, dass ich taumle und einen Schritt nach hinten machen muss, um nicht umzufallen. Jonah sieht noch immer ungläubig und verwirrt aus. Er fährt sich mit den Fingern durch die Haare und schüttelt abermals den Kopf. »Geh.« Das ist alles, was er sagt. Die Welt beginnt sich wieder zu drehen. Sie dreht sich viel zu schnell; mein Kopf schwirrt, und mein Herz droht mir die Brust zu zerreißen. Er schickt mich fort! Erst küsst er mich zärtlich und dann wirft er mich raus?
Ich gebe ihm keine Chance, den Rausschmiss zu wiederholen. Ohne ein weiteres Wort verlasse ich das Büro.
Den Rest des Abends heule ich mir die Augen aus. Je öfter ich die Ereignisse Revue passieren lasse, umso weniger kann ich mir einen Reim darauf machen, was da genau passiert ist. Ich weiß nur, dass Jonahs Kuss noch immer auf meinen Lippen brennt.
Die Erinnerung daran lässt mir auch am nächsten Tag noch immer einen kalten Schauer über den Rücken rieseln, und in der Redaktion bin ich fahrig und unkonzentriert. Aliyah bemerkt das, aber sie hat genug Takt, mich nicht darauf anzusprechen. Dachte ich.
»Hey, Helena, alles okay?«
Ich habe die letzten Minuten nur auf den Monitor gestarrt und mich sonst nicht bewegt. Aliyahs Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. Ich zucke zusammen. »Ja, klar, alles bestens!«
Sie verzieht ihren
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