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Gefeuert

Titel: Gefeuert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Berger
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Voraussetzungen auf den Arbeitsmarkt zu entlassen. Nur so kann ich mir erklären, warum er mein Zeugnis nicht nur selbst verfasst hat – bei meinen bisherigen Stationen übernahm das die Personalabteilung –, sondern es mir auch noch mit den Worten sendete: »Das ist nur ein Entwurf. Sag einfach, wenn du etwas anders haben möchtest.«
    Jürgens »Entwurf« liest sich super. Aber ein paar Formulierungen machten mich dennoch sofort stutzig. Ich habe schon viele Zeugnisse gelesen und manche Worte und Sätze, die er verwendet hat, klingen ungewöhnlich, geradezu originell. Es ist auch völlig anders als die Zeugnisse, die mir bislang von der Personalabteilung ausgestellt wurden.
    Nun ist es ja normalerweise von Vorteil, kein 08 / 1 5-Dokument zu haben, sondern etwas Individuelles vorweisen zu können. Im Falle von Zeugnissen gilt das aber nicht. Ich habe Profis angeheuert, die mir genau das bestätigten. Da ich nicht die Einzige bin, die ihr Zeugnis selbst schreiben darf, und auch manche Personalabteilung hierbei Nachhilfebedarf hat, gibt es einen richtigen Markt für Arbeitszeugnisse. Professionelle Berater helfen gegen Geld beim Formulieren, übersetzen die Bedeutung mancher Sätze oder verfassen gleich selbst ein vorzeigbares Zeugnis.
    »Das mag ja gut gemeint gewesen sein, aber die Wirkung ist eindeutig negativ«, sagte der Mitarbeiter einer Zeugnisberatung zu Jürgens Entwurf und ich konnte durchs Telefon hören, wie er schmunzelte. »Womöglich merkt ein Personalverantwortlicher, der das liest, dass das jemand geschrieben hat, der sich in der Zeugnissprache nicht auskennt. Darauf würde ich mich aber nicht verlassen.«
    Er hat dann das Zeugnis Wort für Wort analysiert und das Ergebnis war vernichtend. Die Zeugnissprache ist streng formalisiert. Alles hat eine Bedeutung: Rechtschreibfehler genauso wie Beurteilungen, die gut klingen, aber Interpretationsspielraum ermöglichen. Sogar Aspekte, die gar nicht erwähnt werden, können allein durch ihr Fehlen negativ wirken. Das liegt daran, dass Zeugnisse gut klingen müssen. Der Arbeitgeber hat die Pflicht, ein »wohlwollendes« Zeugnis auszustellen. Deswegen wird Negatives eben schön umschrieben.
    Fassungslos las ich das Urteil des Experten: Mein Zeugnis enthalte »sehr ungewöhnliche und missverständliche Formulierungen« und »unvorteilhafte Leerstellen«, überhaupt wirke das Ganze wie ein Eigenentwurf und die sehr gute Note sei wegender Fehler nicht glaubwürdig. So hatte mir Jürgen mal schnell im »Verhalten gegenüber Vorgesetzten« unabsichtlich die Note Vier verpasst. Und das, dessen bin ich mir sicher, aus Bescheidenheit: Er nannte bei der Bewertung meines Sozialverhaltens gegenüber Team und Vorgesetzten meine Kollegen zuerst, ohne zu wissen, dass das einer Kritik am Verhalten gegenüber den Vorgesetzten gleichkommt. Richtig hätte es lauten müssen: »Ihr Verhalten gegenüber Vorgesetzten und Kollegen …«
    Jürgen schrieb auch immer meinen Vor- und Nachnamen. Das könne als »Distanzierung« verstanden werden, urteilte der Experte, dem nichts entging. Weder doppelte Verneinungen (das komme einer Abwertung gleich) noch die passive Formulierung »Wir bedanken uns« seien gut. »Wir danken ihr«, müsse es heißen, ansonsten wirke auch das negativ.
    Ich war entsetzt über all die Fehler, die das Zeugnis enthielt. Eine böse Interpretation gut gemeinter Sätze und Wünsche folgte auf die andere. Nachdem ich mich durch die Vier-Seiten-Analyse gekämpft hatte, atmete ich erleichtert auf. Da hatte ich ja noch einmal Glück gehabt und genau das Richtige getan. Die 40 Euro für die Zeugnisberatung waren gut investiert!
    Die folgenden Tage bin ich in den wenigen Pausen, die mir die Kinder lassen, damit beschäftigt, die schlechten Formulierungen rauszuschmeißen und stattdessen die Profisätze einzubauen und das Ganze immer und immer wieder nach Rechtschreibfehlern zu durchforsten. Schön zu lesen ist das Ergebnis nicht. Es ist eine Aneinanderreihung von standardisierten Beurteilungen, gewürzt mit Worten wie »außerordentlich«, »jederzeit«, »sehr groß« und »besonders hoch«.
    Jetzt werde ich das Ding also Jürgen mailen. Ich habe ihn vorhin schon bei lautem Kindergeschrei im Hintergrund telefonisch vorsichtig auf die Änderungen aufmerksam gemacht und auch zugegeben, dass ich Profis zurate gezogen habe. »Damit mir keine falschen Formulierungen einfallen«, schwindelte ich. Es ist einfach zu seltsam und irgendwie peinlich, meinen Chef bei meinem

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