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Gefeuert

Titel: Gefeuert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Berger
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finden, sowieso nicht. Sie wird schließlich auch noch versteuert. Normalerweise orientiert sich die Abfindung an den Jahren der Betriebszugehörigkeit und dem sozialen Status, also dem Familienstand. Laut Kündigungsschutzgesetz steht dem Arbeitnehmer ein halbes Monatsgehalt pro Jahr der Betriebszugehörigkeit zu.
    Als ich mich auf den Weg zu Herrn Roth mache, weiß ich, dass es um die Abfindung geht. Ich bin hin- und hergerissen. Einerseits tut es gut, mal wieder unterwegs zur Arbeitsstelle zu sein, andererseits gibt es wahrlich schönere Anlässe.
    Seine Bürotür steht offen, ich klopfe trotzdem, um auf mich aufmerksam zu machen.
    »Hallo, Herr Roth.« Wir schütteln uns die Hand.
    Während ich an dem kleinen Besprechungstisch Platz nehme, sucht er auf dem Schreibtisch nach den Unterlagen. Zum ersten Mal fällt mir auf, dass er älter geworden ist. Wir kennen uns jetzt seit 15 Jahren, genauso lange wie ich im Unternehmen bin. Das ist eine lange Zeit. Die geht nicht spurlos an einem vorüber. Ich überlege, ob er wohl auch manchmal zurückdenkt. Erinnert er sich daran, wie ich ihm als blutige Anfängerin gegenübersaß, startbereit und voller Tatendrang? Ich versuche aus dem Fenster zu sehen, blicke aber nur auf einen Ficus benjamini. Ich empfinde die Situation als äußerst unangenehm, bin aber auch gespannt, wie der Verlauf des Gesprächs sein wird.
    Nachdem sich Herr Roth mir gegenübergesetzt hat, verfallen wir erst einmal in Smalltalk und reden mit einer Ernsthaftigkeit über das Wetter und das Essen in der Kantine, als wäre ich nur zu diesem Zweck gekommen.
    Ich gewinne bald den Eindruck, dass Herr Roth bemüht ist, sich als verantwortungsvollen Personaler darzustellen. Er kommt immer wieder zu dem Punkt, was »den Menschen« wichtig ist und was »die Menschen« brauchen und was man für sie tun muss. Er sagt nie Mitarbeiter, er sagt immer nur »Menschen«.
    Jetzt sitzt ihm also der Mensch Julia Berger gegenüber und dieser Mensch weiß, dass es jetzt langsam ernst werden muss. Und tatsächlich, Herr Roth schlägt seine Mappe auf.
    Ich höre, wie er sagt: »Es ist besonders unangenehm, dass es in diesem Fall mehrere junge Familien trifft«, und mir fällt auf, dass er immer kleiner wird und im Laufe des Gesprächs immer tiefer in den Stuhl rutscht. Er liest mir die für mich aufgesetzteAbwicklungsvereinbarung vor. Als er bei der Höhe der Abfindung ist, guckt sein Kopf gerade noch über die Tischkante.
    Als ich die Summe höre, bin ich verwundert, was man mir sicher anmerkt. Der Betrag ist deutlich niedriger, als ich ihn mir ausgerechnet habe. Ich unterbreche ihn beim Vorlesen.
    »Entschuldigen Sie, dass ich kurz unterbreche, aber bei meiner Betriebszugehörigkeit …«
    Herr Roth lässt mich nicht zu Ende sprechen: »Sie haben gar keine Betriebszugehörigkeit. Sie haben einen neuen Arbeitsvertrag bei einem neuen Unternehmen unterschrieben. Ich habe einen Kompromiss gefunden.« Das spielt wohl auf meinen Wechsel in eine Tochtergesellschaft vor wenigen Jahren an.
    Ich halte es für das Klügste, auf diese Belehrung hin zu schweigen. Nachher werde ich das ganze Ding der Anwältin faxen und dann werde ich schon erfahren, ob er recht hat. Aber meine Konzentration ist dahin, ich höre ihm nicht mehr zu, als er fortfährt, die Vereinbarung vorzulesen. Ich denke über seine Worte nach. Er sagte »Ich habe einen Kompromiss gefunden«. Aber ich nehme nicht an, dass Herr Roth über die Höhe der Abfindung entscheidet. Da ist sie wieder. Die Schuldfrage. Der kleine Chef ist nicht schuld, er hätte gerne das Projekt weitergeführt und seine Mitarbeiter behalten. Der große Chef ist auch nicht schuld, er hat die Entwicklung zwar wohl früher kommen sehen, aber aufhalten konnte er sie nicht. Auch Herr Roth ist nicht schuld. Er macht seinen Job, hat aber den Anlass dazu nicht zu verantworten. Die Schuld liegt weiter oben bei den ganz großen Herren in Anzügen, die die Einstellung entschieden haben. Doch sicherlich befassen sie sich nicht mit so Kleinigkeiten wie den Jahren der Betriebszugehörigkeit der zu kündigenden Mitarbeiter.
    Als Gekündigter siehst du dich plötzlich einem ungerechten System gegenüber. Sobald du meinst, einen Einzelnen in die Verantwortung nehmen zu können, rinnt dir dessen Schuld wieder durch die Finger. Es gibt keine Person, auf die du deine Wut und Verletztheit richten kannst. Du bist und bleibst gekündigt und fühlst dich mies behandelt.
    Das Zuklappen der Mappe holt mich aus meinen

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