Gefeuert
gekündigt. Und das Beste ist: Wirdürfen uns dann wieder neu bewerben, weil sie in einer anderen Stadt einen neuen Betrieb aufmachen.«
»Und das ist erlaubt?« Ich wundere mich, mit so etwas kommt ein Unternehmen doch bestimmt nicht durch, nicht in Deutschland, oder?
»Das wird sich zeigen, ob das erlaubt ist. Was weiß ich. Ich will eigentlich nicht wegziehen, aber ich werde mich wohl bewerben müssen. Ich weiß auch nicht … Und wie läuft es bei dir?«
»Ach, keine Ahnung. Ich bin ja eigentlich noch in Elternzeit.«
Das ist meine Standardantwort, wenn Freunde, Bekannte, frühere Kollegen, Verwandte, die von meinem unschönen Los wissen, mich nach dem Stand der Dinge fragen. Sie wissen nicht, dass sie damit die empfindliche Ader eines Gekündigten treffen.
Eine Frage wie »Und was tut sich?« setzt einen sofort unter Rechtfertigungsdruck. Das Beste wäre, man könnte antworten: »Ich habe inzwischen 38 Bewerbungen geschrieben, 19 Vorstellungsgespräche gehabt und 14 Jobangebote bekommen. Ich bin aber noch nicht sicher, ob ich eines annehme, denn ich habe eine so tolle Anwältin, die hat eine horrende Abfindungssumme ausgehandelt, davon könnte ich ein Jahr auf die Bahamas ziehen.« Kann man mit dergleichen nicht aufwarten, fühlt man sich ertappt. Man spürt förmlich, wie der andere sorgenvoll den Kopf schüttelt, sich wundert, warum man nicht mit mehr Eifer bei der Sache ist, und sich vornimmt, sich im Internet mal zu informieren, wie man am besten bei depressiver Verstimmung helfen kann.
Noch schlimmer ist die vermeintlich einfühlsam von Hobbypsychologen gestellte Frage »Und wie geht’s dir damit?«. Die Tiefenanalytiker unter ihnen gehen noch einen Schritt weiter und stellen fest: »Am Boden scheinst du ja deswegen nicht zu sein?« Dabei schauen sie einen mit großen Augen an, lauernd, wie ich finde.
Ich habe nicht den Eindruck, wirkliches Mitgefühl zu erhalten– mit Ausnahme meines Familien- und engen Freundeskreises. Es scheint eher so eine Art Sensationslust zu sein, gemischt mit Schrecken und der Erleichterung, dass es einen selbst nicht getroffen hat. Sehr schnell habe ich den Eindruck, mich vor den neugierigen und fordernden Fragen nach dem Stand meiner Kündigung und nach meiner beruflichen Zukunft schützen zu müssen.
Die ehrliche Antwort wäre: »Wie soll’s mir schon gehen? Ich bin entsetzt über die Kündigung, habe Geldsorgen und tue alles dafür, rechtzeitig einen neuen Job zu bekommen. Aber das geht nicht so schnell, verdammt noch mal!« Stattdessen rede ich mich mit der Elternzeit heraus. Wenn jemand gar nicht lockerlässt, sage ich: »Ich sehe das als Chance.« Das nimmt ihnen den Wind aus den Segeln und es ist nicht einmal unwahr. Ich bin inzwischen zu der Einsicht gelangt, dass ich die Kündigung nicht ändern kann – auch wenn ich sie noch nicht akzeptiere. Also bleibt nur eines: das Beste daraus zu machen. Das ist der einzig vernünftige Weg, der mir einfällt, damit umzugehen. Ich muss mich nur erst selbst noch dahin bringen, es auch wirklich zu glauben. Im Moment komme ich mir verlogen vor, wenn ich die Kündigung euphemistisch zur »Chance« und »Herausforderung« umetikettiere.
Ich schaffe es ja noch nicht einmal, meiner Mutter die Kündigung zu »beichten«. Ihr habe ich bis heute nur die halbe Wahrheit gesagt. Sie weiß zwar, dass das Projekt eingestellt ist, aber die Kündigung habe ich mit meinem neuen Lieblingssatz »Ich bin ja jetzt erst einmal in Elternzeit« verschwiegen. Sie würde sonst nur stellvertretend für mich Existenzängste ausstehen und das bringt niemandem etwas.
Immerhin weiß mein Vater inzwischen Bescheid. Ich habe ihn angerufen, nachdem die Kündigung da war.
Er reagierte auf die Mitteilung besonnen. »Das sind ja keine guten Nachrichten«, sagte er. Die darauffolgenden Tage stellte er mir die Begrüßungsfrage »Wie geht’s?« auffallend sanft. Ganz traute er der schlechten Nachricht aber wohl nicht über den Weg, vielleicht nahm er auch an, ich würde übertreiben.
Als er mich kurz darauf mit seiner Lebensgefährtin besuchte, kamen wir bei Kaffee und Kuchen auf meine Arbeit zu sprechen.
»Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass das Unternehmen das Projekt wirklich einstellt«, sagte er zweifelnd. »Ich habe gar nichts darüber gelesen. Was für ein Schreiben hast du denn erhalten?«
»Die Kündigung«, antwortete ich, obwohl er das doch schon wusste. Er hatte es wohl noch nicht ganz realisiert, so wie es mir am Anfang ja auch gegangen
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