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Gefeuert

Titel: Gefeuert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Berger
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weiterzumachen. »Du kannst dich auf jeden Fall auch auf höhere Positionen bewerben.«
    »Ja, natürlich, werde ich tun«, versichere ich ihm schnell und drehe den Spieß um: »Wie geht’s dir denn?« Die Frage ist ernst gemeint, er macht keinen frohen Eindruck.
    Und tatsächlich rückt er mit der Sprache heraus, wenn auch zögerlich. »Es war nie mein Traum, diesen Job zu machen«, sagt er leise. Das finde ich interessant, er hat zwar als Einziger aus unserem alten Team eine Stelle im Konzern behalten – aber eben nicht in dem Bereich, in dem er eigentlich arbeiten möchte. Sind wir Gekündigten am Ende besser dran? Das gibt uns die Chance, etwas Neues anzufangen, hinter dem wir stehen können.
    Ich lasse ihn mit seiner faulen Kompromisslösung allein, um bei der nächsten Verabredung vorbeizuschauen. Doch zu wem ich auch komme, es ist überall dasselbe: Entweder ist die Stimmung schlecht oder der Stress so hoch oder die Mittel sind so knapp, weil gespart werden muss. Und über allen hängt wie eine bedrohliche schwarze Wolke die Angst vor weiteren Kündigungen. Alle jammern. Da sitzen sie, die Überlebenden der bisherigen Kündigungswellen, auf ihren festen Arbeitsplätzen und sind unglücklich. Regelmäßigen Befragungen der Gewerkschaften zufolge geht das nicht nur meinen früheren Kollegen so. Laut dem Index »Gute Arbeit« haben nur zwölf Prozent aller Beschäftigten in Deutschland zufriedenstellende Arbeitsbedingungen. Alle anderen haben Grund zur Klage – über zu lange Arbeitszeiten, zu viel Stress, unfähige Vorgesetzte, schlechte Entwicklungsmöglichkeiten oder zu wenig Gehalt.
    Für mich ist es ganz gut, dass sie alle so sehr mit sich beschäftigt sind. So bestreiten sie den Großteil der Unterhaltung selbst und die inquisitorischen Fragen – »Und was machst duuu jetzt?«, »Und was wird jetzt aus diiiiir?« oder noch unangenehmer mit therapeutischem Unterton: »Was möchtest du denn am liebsten machen?« – halten sich in Grenzen. Was ich bei fast allen spüre, ist der Schreck darüber, dass es mich erwischt hat. Damit hat wohl keiner gerechnet.
    Ein früherer Vorgesetzter sagt zu mir kopfschüttelnd: »Und dabei arbeiten hier mindestens 500 Leute, die lange nicht so gut sind wie du.«
    »Das spielt im Moment keine Rolle. Darum geht es nicht. Da werden jetzt einfach Stellen abgebaut, ob wir gut oder schlecht gearbeitet haben, interessiert nicht«, erkläre ich emotionslos, obwohl ich natürlich verletzt bin. Da haben sie alle immer Wunder was wichtig getan, wie zufrieden sie mit mir sind, und dann kündigen sie trotzdem?!
    »Ich weiß schon«, sagt er resigniert.
    An sich wäre so eine Aussage ein Grund, stolz zu sein. Aber danach ist mir gerade nicht. Ein Freund sagte, als er von der Kündigung hörte: »Ach, bei dir mache ich mir gar keine Sorgen.« Das war so selbstverständlich dahingesagt, dass ich schlecht erwidern konnte: »Ich mir schon.« Gott, was habe ich mir die letzten Wochen nicht für Sorgen gemacht, einen riesigen schwarzen Knäuel würden sie zusammen bilden, der die Macht hat, einen zu erdrücken. Ich habe Angst, Angst davor, dass ich nicht rechtzeitig eine adäquate und einigermaßen ordentlich bezahlte Stelle finden werde.
    Einer meiner Vorgesetzten nimmt sich Zeit für einen gemeinsamen Kaffee. Das freut mich, weiß ich doch, wie beschäftigt er immer ist. Dieses überraschende Vieraugengespräch verläuft jedoch sehr seltsam. Nachdem die Frage, wie es mir geht (»gut«) und was ich mache (ich murmele etwas diffus von einem »Projekt«), geklärt ist, fängt er an zu jammern. Er erzählt mir, wie teuer das Leben ist und wie viel Geld die private Krankenversicherung verschlingt, und je länger ich zuhöre, desto mehr wundere ich mich: Wieso erzählt er mir das? Er muss doch wissen, dass ich viel weniger verdient habe als er. Sein Einkommen ist auf jeden Fall fünfstellig. Wenn selbst ihm das Geld nicht reicht, was soll ich dann erst sagen? Ich versuche, mit aufmerksamem Gesichtsausdruck wegzuhören, seine Bekenntnisse sind mir zu privat. Offensichtlich, schließe ich daraus, verdient man nie genug Geld – wahrscheinlich steigert man seinen Lebensstandard nach und nach entsprechend. Oder hat er einschlechtes Gewissen, spekuliere ich auf einmal. Wusste er vielleicht schon früher vom Ende des Projekts als meine Kollegen und ich? Fühlt er sich nun mies, weil er uns nicht vorgewarnt hat und will sein Gewissen erleichtern, indem er mir zeigt, dass es ihm auch nicht so gut geht?

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