Gefeuert
Briefkasten ein großes Kuvert. Was das wohl sein mag? Der Umschlag trägt den Stempel des Berufsverbandes. Das macht mich neugierig. Kaum in der Wohnung, reiße ich ihn sofortauf – es ist die Abwicklungsvereinbarung. Na, dann hat die Anwältin Herrn Roth ja offensichtlich doch noch erreicht. Ich hatte mich schon gewundert, warum sie nichts von sich hören ließ. Es liegt ein zweiseitiges Schreiben von ihr dabei, in dem sie festhält, dass alles seine Ordnung hat und warum. Doch die Botschaft ist enttäuschend. Denn höher ist meine Abfindung nicht geworden, wobei sie immerhin noch einen wichtigen Punkt ausgehandelt hat: Sollte ich während meiner Freistellung nebenberuflich Geld verdienen, wird mir das nicht vom Gehalt abgezogen. Das ist wichtig. Ich habe die vergangenen Jahre hin und wieder nebenberuflich auf selbstständiger Basis Aufträge angenommen und damit will ich nun wieder starten. Ich glaube, es ist eine gute Idee, meine Kontakte auf diese Weise zu nutzen und mich trotz Elternzeit wieder ins Gespräch zu bringen.
Meine Zukunft im Unternehmen ist mit dieser Vereinbarung allerdings besiegelt: Sie existiert nicht mehr.
Direkt nach meiner Elternzeit bin ich freigestellt. Das heißt, ich brauche – wie die Kollegen – nicht im Büro zu erscheinen. Mein Gehalt wird mir noch bis zum Ende der Kündigungszeit ausgezahlt. Das ist auch dringend nötig, um unser Konto wieder aufzufüllen! Wieder mache ich drei Kreuze, dass meine Kündigungsfrist sechs Monate beträgt. Wäre sie, wie bei meinen Kollegen drei Monate zum Monatsende oder noch kürzer, dann wäre ich mit Ende der Elternzeit in die Arbeitslosigkeit gerutscht.
Die Abfindungssumme wird beim »Ausscheiden« aus dem Unternehmen fällig. Und der Anspruch ist »vererbbar«. Obwohl ich eine Risikolebensversicherung habe, also für den Fall meines Ablebens bereits vorgesorgt habe, finde ich das kurios. Ich hoffe nicht, dass ich in den nächsten Wochen auch noch das Zeitliche segnen werde. Die Kündigung reicht mir erst einmal völlig.
Ich stelle die Vereinbarung hochkant aufs Klavier und schleiche ein paar Mal unschlüssig daran vorbei. Jetzt fehlt nur noch meine Unterschrift und die Sache ist erledigt. Aber es fällt mir unglaublich schwer, meinen Namen darunterzusetzen. Es kommt mir so vor, als würde ich damit meiner Kündigung zustimmen.Und es wurmt mich, dass sich mein Arbeitgeber so billig freikaufen konnte. Abserviert. So fühle ich mich. Endlich überwinde ich mich und bringe es hinter mich. Herr Roth und sein Vorgesetzter haben bereits unterschrieben. Der Vorgesetzte mit Füller, Herr Roth mit Kuli. Ich hefte ein Exemplar sofort ab und stecke das andere gleich in einen Umschlag. Jetzt will ich, dass es vorbei ist, ich laufe zur Post und gebe den Brief auf.
Abends kommen meine Mutter und meine Tante. Sie haben sich für ein paar Tage in einem Hotel in unserer Nähe einquartiert. Eigentlich passt mir dieser Besuch überhaupt nicht. Viel lieber würde ich mit meiner Gekündigtenarbeit vorankommen. Andererseits – »Du bist in Elternzeit Julia, mach mal halblang«, beruhige ich mich. »Während des kurzen Besuchs wirst du wohl nichts verpassen.«
Wir treffen uns beim Italiener um die Ecke. Es ist ein wunderschöner Sommerabend. Im Viertel ist fast mehr los als tagsüber. Frauen in weißen luftigen Kleidern schlendern vorbei, junge Eltern schieben ihre Kinder spazieren. Es ist, als könnte das Leben nicht anders sein als leicht. Ich genieße es, draußen zu sein, und vergesse fast die Abwicklungsvereinbarung. Ich lehne mich entspannt zurück und nehme einen Schluck Wein. Da fragt mich meine Tante leider, wann ich wieder zu arbeiten anfange. Ich überlege kurz, ob ich einfach schwindeln soll, um mich nicht den üblichen Reaktionen auszusetzen. Aber da meine Mutter dabeisitzt, bringe ich auch meine Tante auf ihren Stand: »Unser Projekt ist leider eingestellt worden.«
»Waaaaas? EINGESTELLT?«, ruft meine Tante in spitzem Ton mit Entsetzen in der Stimme. Sie rückt von mir ab, lehnt sich ganz an die äußere Seite ihres Stuhles und sieht mich mit offenem Mund an, sodass sich alle Gäste nach uns umdrehen. Das übertrifft noch die Reaktion, die ich befürchtet hatte. Ich wundere mich, warum sie gar so betroffen ist.
»Ja, die Wirtschaftskrise …«, beginne ich zu erklären und ende mit meinem Standardsatz: »Aber ich bin ja jetzt erst einmal noch in Elternzeit.«
Damit ist sie zufrieden. Sie erzählt dann, dass in ihrem Unternehmen die Geschäfte
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