Gefeuert
Ich weiß es nicht. Aber mir ist nicht wohl in meiner Haut und ich bin froh, als er sich zum nächsten Termin verabschiedet.
Als ich mich am frühen Nachmittag wieder auf den Heimweg von meinem Ausflug in meine alte Arbeitswelt mache, bin ich sehr frustriert. Angeblich werden ein Drittel aller Stellen über persönliche Kontakte besetzt. Bei mir kam heute nichts dergleichen heraus. Okay, ich weiß jetzt, dass die Pharmaindustrie gut dasteht und habe ein paar Eisen ins Feuer gelegt. Aber wie oft musste ich mir anhören, dass es nun leider einen Einstellungsstopp gibt. Ein früherer Chef sagte sogar explizit, dass er mich gerne wieder bei sich hätte. Nur leider im Moment … Es wäre gut gewesen, den Beamten vom Gewerbeaufsichtsamt mit seinem Wanderrucksack dabeizuhaben. Ich hätte ihm gerne gezeigt, wie das so ist, mit dem »Rausfahren« und »Umschauen« und »Unterkommen«.
Beim Nachhauseweg stiere ich aus der U-Bahn ins Dunkle. Es war eine seltsame Erfahrung, wieder im Büro zu sein, die mich sehr traurig gemacht und völlig erschöpft hat. Eigentlich war alles wie immer, nur mein Arbeitsplatz hat gefehlt. Wie gerne hätte ich mich einfach an meinen Schreibtisch gesetzt und gearbeitet. Aber das ist ja nun vorbei.
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Die Unterschrift
Es dauert ein paar Tage, bis ich meinen Bürobesuch verdaut habe. Aber es war gut, dass ich hingefahren bin. Es hat meinen Kampfgeist geweckt. All die Leute unglücklich an ihren Schreibtischen sitzen zu sehen, hat mein Kündigungsschicksal etwas relativiert. Immerhin, so wie den übrig gebliebenen Kollegen wird es mir nicht gehen! »Ich nutze das als Chance! Ich mache das Beste daraus!«, wiederhole ich immer wieder mein neues Mantra.
Ich bin fest entschlossen, mich nicht kleinkriegen zu lassen. Heute steht das Wort »Sparen« auf meiner To-do-Liste. Ich nutze das Vormittagsschläfchen des Kleinen und rechne eifrig. Umgeben von Ordnern und Taschenrechner sitze ich am Schreibtisch und gehe alle Fixkosten durch. Handy- und Telefontarife, Versicherungsbeiträge – alles kommt auf den Prüfstand. Am Ende kann ich tatsächlich ein paar Dinge streichen und ändern – das könnte reichen, um die höhere Miete fast auszugleichen, sobald alle Änderungen greifen (den Gedanken, dass bis dahin aller Erfahrung nach wieder neue Ausgaben auf uns zukommen, verdränge ich in diesem Moment lieber).
Ein Anruf klingelt mich aus der Rechnerei. Es ist Sarah. Sie ist stark erkältet. Ihre Stimme klingt so belegt, dass sie kaum zu verstehen ist. Sie ruft an, weil sie Zuspruch braucht. Obwohl sie eigentlich einsieht, dass sie sich am nächsten Tag krankmelden muss, plagt sie ein schlechtes Gewissen.
»Aber ich muss noch so viel machen, bevor ich mit meinem Chef nach England fliege. Da kann ich doch nicht einfach …«
Meine Rolle bei diesem Telefonat ist klar: Ich muss ihr Gewissen beruhigen und sie darin bestärken, zu Hause zu bleiben. Das ist anstrengend. Ich muss stärker sein als ihr übertriebenes Pflichtgefühl.
»Natürlich bleibst du morgen zu Hause. Du
musst
dich krankmelden«, sage ich also beschwörend.
»Aber was werden meine Kollegen sagen? Sicher heißt es dann: Wenn es ernst wird, klappt sie zusammen«, schnieft Sarah.
»So ein Quatsch. Du bist krank und basta.« Ich bemühe mich, meiner Stimme etwas Entschlossenes zu geben.
»Und der Arbeitsberg auf meinem Schreibtisch? Der wird dann ja noch größer!«, fällt ihr ein.
So geht das weiter und weiter. Auf einmal fällt mir die richtige Diagnose ein und ich sage unvermittelt: »Sarah, du leidest unter Präsentismus!«
»Was?« Sie klingt verdutzt.
»Das ist ein anerkanntes Arbeitsleiden. So nennen es Forscher, wenn Angestellte meinen, trotz Krankheit arbeiten zu müssen.« Das habe ich in einer Studie gelesen. 42 Prozent der Beschäftigten sind davon betroffen, haben Wissenschaftler der Bertelsmann-Stiftung festgestellt. Genau wie Sarah schleppen sich die Kranken vor allem aus Pflichtgefühl und weil sonst Arbeit liegen bleibt an den Arbeitsplatz.
»Kommen denn deine Kollegen auch krank zur Arbeit?«, frage ich detektivisch, um mich dem offenbar allgemeinen Problem anzunähern.
»Ja, viele.«
»Und wie findest du das?«
»Furchtbar ist das, wenn mir ein kranker Kollege mit seinen Rotztüchern gegenübersitzt.«
»Aber du willst ihnen das antun?« Das leuchtet Sarah ein. Sie verspricht, zu Hause zu bleiben und morgen kein »Präsentist« zu sein. Das ist der richtige Zeitpunkt, mich nach einem mühseligen
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