Gefeuert
ins Kinderzimmer. Johannes wickelt gerade das Baby.
»Jetzt bin ich in den Fängen der Arbeitsagentur«, sage ich matt.
»Ach was, da musst du nur ein paar Termine wahrnehmen«, meint er inzwischen wieder gut gelaunt, während der Kleine auf dem Wickeltisch mit nackten Beinen strampelt.
»Aber den ersten schon übermorgen«, sage ich noch, doch ich sehe ein, dass von Johannes im Moment kein Verständnis zu bekommen ist und gehe an meinen Schreibtisch. Ich kann ja selbst nicht genau erklären, warum mich der Anruf so fertiggemacht hat. Gehorsam beginne ich, meine Rentenversicherungsnummer und die anderen Angaben herauszusuchen.
Taggenau.
Danach schwinge ich mich aufs Rad und fahre durch die halbe Stadt. Ich habe einen Termin in einem Fotostudio vereinbart. Mein neues Bewerberfoto soll meine DI N-Persönlichkeit unterstreichen. Es ist noch immer früh am Tag, ich reihe mich ein in den Strom der Berufstätigen. Ich beobachte die Pendler um mich herum. Sie scheinen mit solch einer Selbstverständlichkeit auf dem Weg zur Arbeit zu sein. Bestimmt denken sie lieber nicht daran, wie schnell man aus diesem Arbeitsalltag herausfallen kann.
Als ich dem Fotografen Rainer gegenüberstehe, zückt er ein schweres schwarzes Buch, aus dem mich reihenweise Bewerber anblicken. Ich soll sagen, wie ich mir das Bild am ehesten vorstelle. Schwierig, sieht irgendwie alles gleich aus. Ich tippeschließlich auf eine lächelnde Dame vor grauem Hintergrund. Dann platziert er mich auf einen Hocker mitten im Raum, der zwischen weißen Planen und mehreren Scheinwerfern aufgestellt ist. Ich soll mich »gerade« hinsetzen. Aber er meint nicht das normale »gerade Sitzen«. Er biegt mich in die Fotografen-Gerade: Erst nach vorn, dann die Schulter zur Seite und dann den Kopf in die leichte Schieflage.
»Du glänzt«, stellt er tadelnd fest und holt eine große Puderquaste hervor, mit der er mir wild übers Gesicht fährt. Seine Kollegin, die sich bis zur Gesichtsmaske gepudert und bislang keine Miene verzogen hat (wahrscheinlich würde sonst der Putz herunterbröckeln), linst neugierig um die Ecke. Glänzende Bewerber sind offenbar selten.
Dann verschwindet Rainer hinter der Kamera. »Bitte freundlicher!«, ruft er mir zu. Ich setze gerade zu einem Lächeln an, da kommt schon der Befehl »Strahlen!« und während ich noch dabei bin, meine Mundwinkel in Position zu bringen, lässt er die Kamera sinken. »Die Bluse wirft zu viele Falten«, sagt er missmutig. »Zieh sie mal leicht nach unten.«
Ich ziehe meine Bluse nach unten, Rainer versteckt sich hinter der Kamera – und nimmt sie wieder herunter. »Warte mal«, sagt er, verschwindet leichtfüßig und kommt mit einer Wäscheklammer wieder. »So«, sagt er und klammert meine Bluse hinten am Rücken zusammen.
Dann geht es von vorne los: »Bitte freundlicher!«, »Strahlen« und diesmal: »Zähne zeigen!« Plötzlich springt Rainer vor und biegt mich weiter nach vorn. Ich fühle mich inzwischen wie der schiefe Turm von Pisa.
Und wieder: »Freundlicher!«, »Lächeln!« Auf einmal stellt er sich auf die Zehenspitzen und ist offensichtlich begeistert von der neuen Perspektive. Voller Grazie hüpft er auf einen Hocker, den er sich im Nu tänzelnd herbeigeschoben hat. Er ist ganz in seinem Element.
»Heb das Kinn höher!«, befiehlt er mir. »Noch höher!«
Ich gebe mein Bestes und widerstehe dem Impuls aufzuspringen und Rainer mit Wäscheklammern zu bewerfen, schließlichbin ich doch bestimmt schon ganz nah dran an meinem DI N-Bewerberfoto . »Das ziehe ich jetzt durch«, sage ich mir, biege mich nach vorne rechts und lege den Kopf nach links und recke das Kinn noch höher und drehe mich zur Kamera und dann wieder weg und ziehe die Bluse weiter runter und zeige wieder und wieder Zähne und frage mich: »Was machst du hier eigentlich? Wie soll das mit der Jobsuche weitergehen, wenn du dich schon beim Foto zum Idioten machst?«
Als mir Rainer die Fotos am Computer zeigt, sehe ich Dutzende Aufnahmen einer mir fremden Person nebeneinander. Mal lächelt sie von rechts, mal von links. Das soll ich sein? Ich muss die Fotos anklicken, die mir gefallen. Wenn man sie schnell durchklickt, sieht es aus wie im Daumenkino: Mundwinkel hoch und wieder runter und wieder hoch. Lustig. Aber davon ernsthaft das beste auszuwählen, finde ich sehr schwierig. Rainer nicht. Sofort hagelt es von ihm Noten: »Das gefällt mir gut.« »Nein, das ist nichts.« »Das Lachen da ist besser.« »Das hier ist super!« Nein,
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