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Gefeuert

Titel: Gefeuert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Berger
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doch nicht schon die Arbeitsagentur sein? Ich nehme den Hörer ab.
    Ellas Freundin ist dran.
    »Ella ist mit dem Fahrrad hingefallen. Und dann war noch etwas mit dem Kreislauf. Es geht ihr schon besser, aber sie liegt jetzt hier und will abgeholt werden«, sagt sie mit ihrer zarten Kinderstimme.
    Ich spüre nur noch mein Herz schlagen und reiße mich zusammen. Schnell frage ich: »Ist sie auf den Kopf gefallen? Kümmert sich ein Erwachsener um sie?«
    »Unsere Lehrerin ist bei ihr. Ich glaube nicht, dass mit dem Kopf etwas ist, aber ich war nicht beim Sturz dabei. Sie war ohnmächtig.«
    Ich lege auf, renne zu Johannes. Noch während ich ihm im Stakkato erzähle, was passiert ist, zieht er sich schon seine Schuhe an und macht sich in aller Eile auf den Weg. Ganz so schlimm kann es nicht sein, versuche ich mich zu beruhigen, sonst hätten sie doch einen Krankenwagen gerufen. Ich erinnere mich, wie ich heute Morgen Ellas Fahrradhelm auf der Ablage liegen sah und noch kurz überlegte, ob ich ihr hinterherrenne, um ihn ihr zu bringen. Verdammt. Und was mache ich jetzt mit der Arbeitsagentur? Ich bin völlig durch den Wind. Inzwischen ist es Viertel vor neun.
    Da wacht der Kleine auf und lenkt mich kurz von meiner Sorge um Ella ab. Ich nehme ihn mit ins Wohnzimmer undschnalle ihn am Hochstuhl an. Neben ihn auf den Tisch stelle ich einen Korb mit allen Spielsachen, die ich auf die Schnelle zwischen die Finger bekomme.
    Ich setze mich ihm gegenüber vors Telefon und sehe abwechselnd ihn an und die Uhr. Fünf vor neun, zwei vor neun, neun, drei nach neun. Die werden mich doch nicht vergessen haben? Und warum meldet sich Johannes nicht? Das macht mir Angst. »Es wird doch nichts Schlimmes sein?«, bange ich.
    Um zehn nach neun klingelt es endlich. Es ist die Arbeitsagentur. Eine Mitarbeiterin stellt sich vor und sagt: »Immer, wenn ich nichts sage, gebe ich Ihre Daten ein.« Dann fragt sie tatsächlich sofort die Rentenversicherungsnummer und die Bankverbindung ab. Das Baby wirft sämtliches Holzspielzeug, schön eines nach dem anderen, auf den Boden. Es ist ein unglaublicher Krach und ich habe Mühe, sie zu verstehen. Außerdem bin ich ziemlich unkonzentriert, weil ich nicht weiß, was mit Ella ist. »Stammdaten«, höre ich da und: »Ihr Studium? Taggenau!«
    Mist, taggenau habe ich Studienbeginn und ‑ende nicht. Aber sie ist flexibel und nimmt einfach den 1.10. fürs Wintersemester. Schwieriger wird es mit den Uni-Orten. Mehrere will das System nicht annehmen. Sie lässt es bei einem.
    Daraufhin antworte ich nur noch systemgerecht – Ja, nein, Zahlen, Fakten, kein Entweder-oder, kein Und, keine Erklärungen. Der Kleine hat sich mit großer Mühe so weit vorgestreckt, dass er mein Wasserglas zum Kippen bringt. Ich fange es gerade noch auf.
    Nachdem sie mein Kündigungsdatum gehört hat, stutzt sie. »Wir sind außerhalb der Frist. Sie haben die Pflicht, sich spätestens drei Monate vor Beginn der Arbeitslosigkeit zu melden.«
    »Ja«, bestätige ich. Ich weiß selbst, dass ich mich viel früher als nötig melde. Zwar heißt es im »Merkblatt für Arbeitslose« tatsächlich, dass man sich »spätestens« drei Monate vorab melden soll (und falls man eine kürzere Kündigungszeit hat, innerhalb von drei Tagen nach der Kündigung), aber vier, fünf oder gar sechs Monate vorher – das ist dann offenbar selbst der Arbeitsagenturzu früh. Allerdings gibt es offiziell kein Datum, ab dem man frühestens anrufen darf. Aus ihrer Reaktion schließe ich, dass ich eine Ausnahme bin, offenbar rufen alle anderen erst knapp vor Beginn der Frist an.
    »Bleiben Sie einen Moment dran.« Sie verschwindet. Was macht sie? Schlägt sie im Handbuch nach, was man mit Kunden, wie die Arbeitsagentur die Arbeitslosen inzwischen nennt, macht, die »außerhalb der Frist« sind? Die Pause dauert lange, zu lange. Der Kleine steckt sich eine Holzrassel tief in den Mund.
    »So, jetzt bin ich wieder bei Ihnen«, höre ich. »Wir vereinbaren jetzt einen Termin. Den müssen Sie dann wahrnehmen und Ihren Personalausweis vorlegen. Wann passt es Ihnen denn?«
    Ich nenne ihr ein Datum.
    »So, jetzt sind wir fertig«, sagt sie zufrieden.
    »Und mein Termin?«, wundere ich mich.
    »Da meldet sich dann der Jobberater direkt bei Ihnen. Tschüüüüüüüs!«
    Mit dem »Tschüs-Sagen« haben sie’s in der Arbeitsagentur. Es kommt wie schon bei ihrer Kollegin vor zwei Tagen einen Tick zu fröhlich. Offenbar sind sie jedes Mal sehr glücklich, wenn sie einen neuen

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